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Der unmoegliche Mensch

Der unmoegliche Mensch

Titel: Der unmoegliche Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. G. Ballard
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Tag. Bei Tagesanbruch begann er, den Vogel mit einer Machete auszuweiden.
     Drei Tage später stand Crispin am Kliff über dem Haus, das Vorpostenschiff weit unter sich, auf der anderen Seite des Flusses. Der hohle Kadaver der Taube, den er über Kopf und Schultern gestülpt hatte, erschien ihm wenig schwerer als ein Kopfkissen. Als für kurze Zeit die Sonne schien, hob er die ausgestreckten Flügel und spürte ihre Tragkraft und den schneidenden Luftstrom durch die Federn. Einige stärkere Böen fegten über den Kamm und hoben ihn fast in die Luft. Er trat näher an die kleine Eiche, die ihn gegen Sicht von dem Haus unten verbarg.
     Am Stamm lehnte sein Gewehr, und da lagen auch die Patronengurte. Crispin ließ die Flügel sinken und schaute zum Himmel hinauf, um sich zum letztenmal zu vergewissern, daß kein Habicht oder Falke in der Nähe war. Die Wirksamkeit der Tarnung hatte alle seine Erwartungen übertroffen. Wenn er auf dem Boden kniete, die Flügel an den Seiten angelegt und den ausgehöhlten Kopf des Vogels über das Gesicht gezogen, war er seiner Meinung nach von einer Taube nicht zu unterscheiden.
     Unter ihm fiel das Gelände zum Haus hin ab. Von Bord des Vorpostenschiffes hatte das Kliff fast senkrecht ausgesehen, aber in Wirklichkeit hatte der Hang ein gleichmäßiges, nicht steiles Gefälle. Mit etwas Glück könnte es ihm vielleicht sogar gelingen, ein paar Schritte zu fliegen. Aber er beabsichtigte nur, den größten Teil der Strecke einfach bergab zu laufen.
     Während er auf Catherine Yorks Erscheinen wartete, befreite er seinen rechten Arm aus der Metallklammer, die er am Flügelknochen des Vogels befestigt hatte. Er griff nach seinem Gewehr und legte den Sicherungsflügel um. Durch die Trennung von seiner Waffe und den Patronengurten und durch die Verkleidung als Vogel hatte er seiner Ansicht nach die irre Logik der Frau anerkannt. Doch der symbolische Flug, den er ausführen wollte, würde nicht nur Catherine York, sondern auch ihn selbst von dem Bann der Vögel befreien.
     Eine Tür öffnete sich in dem Haus, eine zerbrochene Glasscheibe fing das Licht ein. Crispin stand hinter seiner Eiche auf, und seine Hände umspannten fest die Griffe an den Flügeln. Catherine York erschien und trug etwas über den Hof. Sie blieb an dem wiederhergestellten Nest stehen und rückte einige Federn zurecht. Ihr weißes Haar wehte in der Brise.
     Crispin trat hinter dem Baum hervor und ging den Hang hinunter. Nach zehn Metern kam er an einen Fleck mit kurzem Rasen. Er begann zu laufen, mit ungleichmäßig schlagenden Flügeln. Mit zunehmender Geschwindigkeit preschten seine Füße über den Boden. Plötzlich bekamen die Flügel genügend Auftrieb, und sie wurden steif. Es gelang ihm zu gleiten, sein Gesicht von der vorbeirauschenden Luft umspielt.
     Er war hundert Meter vom Haus entfernt, als die Frau ihn bemerkte. Einen Augenblick später, als sie die Schrotflinte aus der Küche geholt hatte, war Crispin vollauf damit beschäftigt, das sausende Gleitflugzeug zu steuern, dessen verwirrter, aber glücklicher Passagier er geworden war. Seine Seele jauchzte, als er den Hang hinuntersegelte, während seine Füße Zehnmetersprünge machten und der Geruch von Vogelblut und Federn seine Lunge füllte.
     Er erreichte die Grenze der Wiese, die das Haus umgab, und überquerte die Hecke in fünf Meter Höhe. Er hielt sich mit einer Hand an dem segelnden Kadaver fest, seinen Kopf halb in dem Vogelschädel verborgen, als die Frau zweimal auf ihn schoß. Die erste Ladung ging durch den Vogelschwanz, aber der zweite Schuß traf Crispin in die Brust, und er fiel in das weiche Gras zwischen die toten Vögel. Eine halbe Stunde später, als sie sah, daß Crispin tot war, ging Catherine York zu dem zusammengeklappten Taubenkadaver und begann, die schönsten Federn auszurupfen. Sie trug sie zu dem Nest, das sie für den großen Vogel baute, der eines Tages kommen würde, um ihren Sohn zurückzubringen.

Ein Tag Ewigkeit

    In Columbine Sept Heures herrscht immer Abenddämmerung. Hallidays schöne Nachbarin, Gabrielle Szabo, spazierte durch den Abend, ihre lange Seidenrobe wirbelte den feinen Sand zu kirschroten Wolken auf. Vom Balkon des leeren Hotels in der Nähe der Künstlerkolonie schaute Halliday über das trockene Flußbett hinweg auf die unbeweglichen Schatten auf dem Wüstenboden. Das Zwielicht Afrikas, endlos und ununterbrochen, winkte ihm und verhieß ihm die Rückkehr seiner verlorenen Träume. Die dunklen Dünen,

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