Der Unsichtbare Feind
Vektoren tragen, eine neue Virulenz erwerben, ja sogar die Fähigkeit, in weitere Spezies einzudringen. Und dabei sind sie so gestaltet worden, dass sie die Artengrenze überspringen können! Die Konsequenz könnte sein, dass Krankheiten, die für eine Tier- oder Pflanzenart typisch sind, befähigt werden, die existierenden Artengrenzen zu überspringen. Normalerweise hindern die Grenzen solche Krankheiten daran, in anderen Arten, wie zum Beispiel dem Menschen, aufzutreten. Wenn dieser Sprung aber bisher in der Natur aufgetreten ist, waren die Ergebnisse normalerweise katastrophal.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass die Epidemie der Spanischen Grippe, die im Jahr neunzehnhundertachtzehn einundzwanzig Millionen Menschen getötet hat, möglicherweise durch ein Virus verursacht wurde, der sonst nur in Schweinen vorkommt. Und der Auslöser von AIDS bei Menschen ist ein Affenvirus, der die Artengrenze übersprungen hat, wahrscheinlich in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Bisher hat er fünfzehn Millionen Menschen getötet. Erst vor kurzem ist ein Virusstamm, der die ›Hühnergrippe‹ auslöst, beim Menschen aufgetaucht –«
»Wirklich, Dr. Sullivan, Sie gehen zu weit!«, unterbrach Morgan sie, dessen Gesicht vor Wut rot angelaufen war. »Sie haben vor, unseren Versuch zu usurpieren, uns unverantwortliches Verhalten zu beweisen bei unseren Bemühungen, der Menschheit auf sichere Weise die Segnungen der Genetik zu bringen –«
»Ach, erzählen Sie mir doch nichts von den Segnungen der Genetik, Mr. Morgan«, protestierte sie mit ihrem vollen irischen Akzent, während sie ihr Publikum ein weiteres Mal mit ihrem Tausend-Watt-Lächeln beglückte und die Betonung von Mr. mit einem verspielten Zwinkern abrundete.
Gelächter erfüllte den Raum.
Du Schlampe!, fluchte er innerlich und schäumte bei ihrer höhnischen Art, alle daran zu erinnern, dass er sich nicht darauf berufen konnte, in irgendeinem Fach einen Doktortitel zu besitzen.
»Dr. Sullivan«, rief einer der Journalisten. »Sie haben erwähnt, dass diese nackten DNA-Vektoren infektiös sind. Könnten Sie das bitte näher erklären?«
»Natürlich. Das ist das dritte Problem, auf das ich zu sprechen komme«, fuhr sie fort und ignorierte Morgan, der am anderen Ende des Tisches hilflos herumschimpfte. »Meiner Meinung nach ist es das umstrittenste von allen – die fortdauernden Effekte nackter DNA-Vektoren, nachdem sie für den Prozess der Geninsertion benutzt wurden, von dem ich eben gesprochen habe.«
»Einen Moment mal«, gelang es dem nervösen Vorstandsvorsitzenden einzuwerfen. »Ich bestehe darauf, dass Sie alle sich daran erinnern, dass Sie hier unsere Gäste sind, und als solche sollten Sie unsere Tagesordnung respektieren!«
Niemand im Raum schenkte ihm auch nur die geringste Aufmerksamkeit, am wenigsten Kathleen Sullivan. Seine Angestellten, die immer noch hinter ihm aufgereiht standen, sahen ihn und einander nervös an und schienen nicht sicher zu sein, was zu tun war.
»Wenn die Gentechniker einen Vektor machen«, fuhr sie fort, »dann kombinieren sie zuerst das Gen, das sie übertragen möchten, mit DNA-Abschnitten von Viren oder Bakterien, die in der Lage sind, in den gewünschten Empfänger des Transfers einzudringen.« Sie sprach schnell, denn offensichtlich war ihr klar, dass ihr Aufenthalt abgebrochen werden könnte. »Sie konstruieren diese Überträger oder Vektoren so, dass nicht nur die Invasion in den Wirtsorganismus und der Einbau des Gens in seine DNA gesichert ist, sondern sie schließen auch DNA-Stückchen mit ein, die Promotor-DNA genannt werden, Segmente, die die Wirkung des Gens in seinem neuen Träger maximieren und damit garantieren, dass alle Eigenschaften, die es trägt, auch ausgeprägt werden.« Sie nahm einen weiteren Stapel Papiere vom Tisch und verteilte sie. »Dieser Artikel beschreibt Möglichkeiten, wie isolierte, nackte Abschnitte dieser künstlichen DNA-Vektoren anschließend als Ergebnis von Zelltod, Ausscheidung oder Sekretion intakt aus dem Wirt in die Umwelt entweichen können.« Sie verteilte einen weiteren Artikel. »Wir haben alle einmal geglaubt, dass diese ausgeschiedenen Einheiten inaktiv seien, es sei denn, sie befänden sich in einer lebenden Zelle oder einem Virus, und dass sie rasch zerfallen würden, sobald sie der Witterung ausgesetzt wären. Hier haben Sie Gegenbeweise aus jüngster Zeit, die zeigen, dass sie sehr viel länger im Boden existieren können als bislang
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