Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der unsichtbare Feind (German Edition)

Der unsichtbare Feind (German Edition)

Titel: Der unsichtbare Feind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nate Reynolds
Vom Netzwerk:
Prolog
    Als er seine Augen öffnete,
durchzuckte ihn ein stechender Schmerz, als würde sich eine Klinge langsam durch
seinen Augäpfel bohren. Mit der Hand schirmte er seine Augen ab, um die wenigen
Momente zu überbrücken, bis sie sich an die grelle Sommersonne gewöhnt hatten. Seine
gegerbte Haut glänzte im Sonnenschein. Dann erst bemerkte er, dass er nicht an
seinem üblichen Schlafplatz war, sondern zwischen bis zum Bersten gefüllten Mülltonnen
lag. Auf seinem Bauch ruhte eine Flasche Wein, dessen Flaschenhals er noch
immer krampfhaft umklammerte. Sein Mund war staubtrocken und in seinem Kopf pochte
es laut. Ein fauliger Dunst des verrottenden Mülls, der ebenso wie er, seit
Stunden in der hochsommerlichen Sonne vor sich hin schwitzte, umgab ihn.
    Langsam richtete er seinen
Körper auf und ließ seinen Blick umherschweifen. Währenddessen zog er lautstark
den Rotz hoch, der fest an seinem Gaumen klebte, und spuckte die schleimige
Masse aus.
    Er befand sich in einem
Hinterhof, durch den ein von Unkraut durchzogener Kieselweg führte, gesäumt von
Wohnhäusern mit rissigen Fassaden und Fenstern, an denen der Lack beinahe
vollständig abgesplittert war und das nackte Holz der Witterung aussetzte. Quer
über den Kieselweg waren Wäscheleinen gespannt an denen vereinzelt verwaiste
Klemmen hingen.
    Aufrecht sitzend fuhr er
durch sein ungepflegt fettiges Haar. Er stand auf, wandte sich zu der betongefüllten
Mauer, die den Mistplatz begrenzte, und öffnete seine speckige Stoffhose. Mit
einem Gefühl der Erleichterung seufzte er in sich hinein, als der Urin zu
fließen begann.
    „Ahhh!“, stieß er hervor,
während er mit der freien Hand, durch die mürbe Hose, sein Hinterteil kratzte
und im Anschluss den bepelzten Teil seines Schambereiches mit den Fingernägeln
durchkämmte.
    Danach hob er die
Weinflasche hoch, um im dunklen Glas den Flüssigkeitsstand zu begutachten.
    „Na dann, Prost Alter“, beglückwünschte
er sich selbst, und kippte den Wein in einem Zug hinunter. Die rote Flüssigkeit
rann ihm in Rinnsalen aus dem Mundwinkel, über den filzigen Vollbart hinweg und
zog eine rote Spur über sein Holzfällerhemd, das ihm am Gesäß aus der Hose hing.
    „Hm, Glühwein“, kicherte er
und ließ achtlos die leere Flasche fallen, ehe er den Kiesweg entlang trottete
und auf die Wirkung des alkoholischen Getränkes wartete.
    Sein Ziel war dasselbe, wie
an so vielen Tagen, an denen sein Magen knurrte und ihn der Durst vorantrieb,
es war Wiens Karlsplatz. Der Platz wurde nach Kaiser Karl und die durch ihn
erbaute Kirche benannt, die er im Andenken an die Pestepidemie des frühen
achtzehnten Jahrhunderts erbauen hatte lassen, hatte er irgendwann einmal auf
einer Messingtafel gelesen. Heutzutage aber war der Karlsplatz einer der
wichtigsten Verkehrsknotenpunkte Wiens. Drei U-Bahn Linien hielten hier,
mehrere hoch frequentierte Wiener Straßenbahnen verfügten über eine Haltestelle
und auch das Hauptgebäude der Technischen Universität Wien war am Karlsplatz
angesiedelt.
    Was ihn anging, so waren nur
der vor der Kirche gelegene Resselpark und die unterirdisch gelegene Verkaufspassage
von Interesse. Hier versammelte sich alles, was Rang und Namen in der
Gesellschaft der Verstoßenen hatte - Junkies, Dealer, Prostituierte, Punks und
Obdachlose. Ab und zu ließen sich auch die Russen blicken, um krumme Geschäfte
abzuwickeln. Aber vor allem gab es dort eines – jede Menge Studenten.
Weltverbesserer mit einem Hang zum Theatralischen. Aber er wollte nicht
schlecht von seiner Haupteinnahmequelle sprechen, denn Gipsy, so wurde er
genannt, hatte schon früh in seinem Leben auf der Straße gelernt, dass es genau
diese Menschen waren, auf die er sich in der Not verlassen konnte. Und genau
das war es, was er jetzt verspürte, Not. Er brauchte Alkohol und er brauchte
ihn schnell. Es zehrte an ihm, machte ihn wahnsinnig. Dieses betäubende, glückselige
Gefühl ließ ihn Tag für Tag überleben und täglich brauchte er mehr. Seine Hände
waren zittrig, Schweiß trat aus seinen Poren. Dieses „Getränk der Götter“ war
Segen und Fluch zugleich. Es gab viele, die behaupteten, hätte er damals die
Finger davon gelassen, wäre ihm dieses Schicksal erspart geblieben. Doch das
würde nun niemand mehr herausfinden, er hatte sich bereits vor langer Zeit für
diesen Weg entschieden. War dieser Weg erst einmal eingeschlagen, so gab es
kein zurück mehr.
    Grelle Sonnenstrahlen drangen
durch das Blattwerk der Bäume im Resselpark, als

Weitere Kostenlose Bücher