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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
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Aber wenn es nur das Lächeln wäre. Es sind die Hände, die ich nicht ertrage, dauernd dieses Kneifen, dieses Betatschen.«
    »Das waren zufällige Berührungen.«
    »Das sind absichtliche Grapschereien.«
    »Oberflächliche, harmlose Kontakte.«
    »Oder er nimmt mich liebevoll um die Taille, und sofort geht er dann weiter runter zum Tatschen und Kneten, der alte Handgreifling.«
    »Du legst das ganz falsch aus! Er hat sicher keine Ahnung, dass man seine Gebärdensprache so missverstehen kann.«
    »Du bist hier der Ahnungslose.«
    »Ich habe nie etwas bemerkt.«
    »Du bemerkst nichts, weil du aus lauter Bequemlichkeit nichts bemerken willst, du prädestinierter Hahnrei.«
    Wir standen uns mit roten Gesichtern gegenüber, aufgebracht und wütend, am Rande einer Ehekrise. Es musste ein Schnitt gemacht werden. Hier war dringend etwas Abstand nötig.
    »Beruhige dich doch, Luciana, treten wir mal einen Schritt zurück!«
    »Fein, damit ich Migliarini in die ganz zufällig bereitgehaltenen Grapschhände laufe.«
    Eine Zeitlang luden wir ihn dann mit verschiedenen Ausreden (ich war deswegen furchtbar verlegen) nicht mehr zu uns ein. Als er schließlich wiederkam, strich Luciana demonstrativ mit dem Gesäß die Wände entlang, um zu zeigen, wie sehr sie auf Distanz ging. Auch das ein Ausrutscher, der ihr zwei Röcke ruinierte.
    Ein weiterer destabilisierender Faktor, der zu unserer Scheidung führte, war das Rauchen im Zusammenhang mit der stalinistischen (in Anführungszeichen) Wende Migliarinis. Alle drei waren wir damals starke Raucher, Migliarini zwei Päckchen am Tag, ich eins, Luciana so um die fünfzehn Zigaretten. Eines Tages wird Migliarini von einem ganz unbedeutenden Reporter gefragt, ob er eigentlich diesen Ermittlungsbescheid schon bekommen habe. Er hält das für einen schlechten Scherz. Doch dann verdichtet sich das Gerücht: überall Blicke, verhaltenes Lächeln. Er dementiert energisch. Das Gerücht geht weiter um, und er dementiert noch energischer und droht mit einer Anzeige gegen Unbekannt. Inzwischen hat er bei sieben Staatsanwälten diskrete Erkundigungen einziehen lassen, alle leugnen, je seinen Namen auf einer Ermittlungs-Liste gesehen zu haben. Darauf vertraut er den Journalisten an, er trauere (in Anführungszeichen) allmählich Stalin nach. Damals, in den dreißiger Jahren, während der großen Säuberungen, wurden beunruhigende Gerüchte über Personen wie Bucharin, Kamenev, Zinoviev und Genossen in Umlauf gesetzt. Die erschraken, versuchten mehr zu erfahren. Nichts, Monate um Monate ließ man sie bangen. Schließlich baten sie um eine Audienz bei Stalin, dem einzigen, der wirklich wusste, was vorging, und Stalin informierte sie mit äußerster Klarheit darüber, dass sie demnächst verhaftet und nach kurzem Prozess erschossen werden würden. »Es scheint nichts«, sagte Migliarini, »aber wenigstens war dann Schluss mit der Folter der Ungewissheit, das war damals noch ein anderes Leben. Heutzutage geht es uns in Italien viel, viel schlechter, unter diesem Gesichtspunkt.«
    Dann hat er tatsächlich den Ermittlungsbescheid bekommen, aber niemand wusste, aus welchem Grund. »Bei einem wie deinem Migliarini«, sagte Luciana, »hat man doch bloß die Qual der Wahl. «Eine verleumderische Einstellung.
    »Was willst denn du über Migliarinis Angelegenheiten wissen«, protestierte ich.
    »Und du, Slucca? Erzählt er dir vielleicht, was er wirklich so treibt?« In der Tat informierte er mich eigentlich nie über seine Schachzüge.
    »Aber er ist ein Vollblutpolitiker, ein Schachspieler, warum sollte er über seine Züge ausgerechnet einen wie mich auf dem Laufenden halten, der nicht einmal Lotto spielen kann?«
    Er ist zum Richter gegangen, blieb dort fast acht Stunden, und als er herauskam (ich wartete hinter dem Gebäude auf ihn), zog er sofort die Zigaretten heraus und zündete sich eine an. »Da drinnen konnte man nicht«, erklärt er, »der Richter ist ein Prohibitionist.«
    Ich frage ihn, wie es mit seinem Stalin gelaufen sei. »Gut«, sagt er und lässt sich mit einem tiefen Seufzer zu mir ins Auto plumpsen. »Er hat sich überzeugen lassen, dass ich nicht das Geringste mit der Sache zu tun habe.«
    »Mit welcher Sache?«
    »Das ist meine Sache, Slucca«, sagt er, strengste Zurückhaltung wahrend, »Sachen, die dich nichts angehen. Aber ich bin ganz ruhig.«
    Er zündet sich eine zweite Zigarette an (die erste hängt ihm aus dem Mundwinkel) und steckt sie sich ins Nasenloch. Ich weise ihn auf die

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