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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
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liebe Zeit, er sei Freigänger gewesen, nicht wegen guter, sondern lobenswerter Führung, kaum eine Stufe unter der exemplarischen; und in Bezug auf den sechsundachtzigjährigen Rentner, den er bei dem Überfall brutal niedergeschlagen haben solle, das sei auch wieder so eine Verdrehung, wieder so eine Verleumdung, du liebe Zeit, das habe sich genau umgekehrt abgespielt, es sei der Rentner gewesen, der plötzlich auf dem Fahrrad aus einer abschüssigen Gasse herausgeschossen sei, ohne nach rechts oder links zu sehen, und ihn, Dede, der gerade aus der Bank geflüchtet sei, über den Haufen gefahren habe. Ergebnis: eine ausgerenkte Schulter.
    Er redete und redete, aber auch die Briefmarke von Fernsehnachrichtensprecher redete und krächzte, sagte, dass der Geländewagen vermutlich in Rom einem bekannten Parlamentarier gestohlen worden sei, auch wenn die Karabinieri vorläufig die Vermutung nicht ausschließen könnten, dass der Parlamentarier vom Banditen als Geisel gefangen gehalten werde oder dass er auf irgendeine Weise in den Raubüberfall verwickelt sei, vielleicht als unfreiwilliger Komplize bei der Flucht des dritten Banditen. In der Tat ...
    Ich sah die Schlagzeilen der Zeitungen vor mir, vielmehr sah ich Migliarini, wie er las: Dank Onorevole Slucca entkommt Bandit einer gigantischen Verfolgungsjagd; Der vierte Mann der Bande: Onorevole Slucca.
    Migliarini würde auf geradezu astronomische Distanz zu mir gehen, ich würde in einer Zelle mit zwei riesenhaften Vergewaltigern enden, und dort würden sie mich mindestens drei Jahre lang vergessen.
    »Slucca, wach auf, es ist zu Ende!« rief das Mädchen.
    »Das Interview?«
    »Nein, die gigantische Verfolgungsjagd ist zu Ende.«
    Ich sah hinaus. Wir waren auf einer von dichtem Gebüsch umstandenen Lichtung, und hinter jedem Busch war ein Mann der Spezialtruppe in Tarnanzug mit auf uns gerichtetem Maschinengewehr.
    »Wie der Wald von Birnam in Macbeth!« bemerkte die Interviewerin fröhlich. Die Männer näherten sich uns Schritt für Schritt, sie hatten auch Hunde dabei, und über ihnen kreiste ein Hubschrauber.
    »Ergebt euch!« rief einer herüber.
    »Aber ich habe doch damit nichts zu tun!« schrie ich. »Ich mache da nicht mit, ich bin völlig unbeteiligt da hineingezogen word...!«
    »Ergebt euch!«
    »Ich leugne jede äußere oder innere Beteiligung an...«
    »Slucca, kapier doch, man kann nicht mit einem Hubschrauber einen Dialog aufnehmen«, sagte das Mädchen und hob die Hände. »Los, Jungs, stellt euch nicht so an, kommt beide mit erhobenen Händen raus!«
    »Aber solltest du uns nicht aus dem Kreis rausbringen?«
    »Diesmal haben sie nicht mit der Kreis-Taktik operiert, sie haben die Strategie der Spirale angewandt. Los, steigt aus, Hände über dem Kopf verschränkt, wenn ihr euch nicht niedermähen lassen wollt!«
    Esposito gehorchte sofort, ich habe noch einen Moment überlegt. Ich sah die Schlagzeilen vor mir: Slucca-Macbeth in einem Wäldchen bei Leopardis Hügel des Unendlichen von Schüssen niedergestreckt; Slucca und Dillinger, zwei vergleichbare Schicksale.
    Dann bin ich ausgestiegen, habe mich ergeben, die Flucht nach vorn war zu Ende. Aber in den Fernsehnachrichten und in den Zeitungen ist eine völlig andere Geschichte herausgekommen. Der Held war Onorevole Vasone, der mit einer linken Geraden den flüchtigen Banditen außer Gefecht gesetzt, ihn in seinen Geländewagen gezerrt, seine 45 er Automatik auf ihn gerichtet und ihn genau in die Mitte des Kreises gefahren hatte, der von den Ordnungskräften vorbereitet worden war.
    Die Expertin für diesen Fall war natürlich Minima Malvolio, die in allen Fernsehkanälen über die Persönlichkeit Domenico Espositos und die fünfunddreißig Stunden, die sie mit ihm in Finale Ligure verbracht hatte, interviewt wurde. Die Reportage Laurettas der Hyäne (der armen Hyäne mit den Goldlöckchen) wurde in unglaublichem Maße benachteiligt, das heißt, sie wurde überhaupt nicht gesendet. Und von mir war nicht die Rede, mit keinem einzigen Wort. Der alte Dede hatte schließlich doch recht: Die in den Medien sind einfach unprofessionell.

SIGNORA SLUCCA
    »DIE PHILOSOPHIE SAGT UNS«, versicherte Onorevole Migliarini, das charismatische Oberhaupt unserer kleinen, aber hochethischen Partei (im Sinn der voluntaristischen Ethik, die sie dazu bewegt, anderen Parteien in Nöten beizuspringen), »und die Wissenschaft bestätigt uns, dass nichts auf dieser Welt erschaffen und nichts vernichtet wird. Aber du, Slucca,

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