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Der unsichtbare Zweite

Der unsichtbare Zweite

Titel: Der unsichtbare Zweite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlo Fruttero
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Verdopplung hin. »Ein Signal«, sagt er darauf ganz gleichmütig, »eine deutliche Warnung.« Er wirft beide Zigaretten aus dem Wagenfenster, und von diesem Augenblick an hat er nicht mehr geraucht. Im Laufe weniger Tage brachte er auch mich dazu, damit aufzuhören, und meinerseits habe ich versucht, es Luciana auszureden. »Du vergiftest dich, und du vergiftest auch mich mit dem passiven Mitrauchen«, erklärte ich ihr.
    »Wenn das doch reichen würde«, sagte sie und blies mir eine Wolke ins Gesicht.
    Der Bruch lag in der Luft. Migliarini kam, und sie rauchte ihm immer mehr ins Gesicht, auch bei Tisch zwischen einem Gang und dem nächsten. Sie feuerte stärker, sie war schon bei fünfundzwanzig Zigaretten angelangt. Migliarini hustete (»Alles Gehabe, der tut bloß so«, grinste sie), er wedelte mit der Hand den Rauch weg, ich machte das Fenster auf, deutete sehr taktvoll an, dass man auch auf dem Balkon rauchen könne, wie das jetzt bei vielen Leuten Brauch ist. Eines Abends hat sich die Situation dann noch mehr verschlimmert, als er, ein bisschen provokativ, von einem Abänderungsantrag zu den EG-Bestimmungen für die Tabakindustrie erzählte. »Ich werde vorschlagen«, sagte er, »einen Totenkopf über die Aufschrift GEFÄHRDET DIE GESUNDHEIT zu setzen, ich habe das bereits mit verschiedenen Europaparlamentariern abgesprochen. Aber wir sind uns noch nicht ganz einig über das Logo: einfacher Totenkopf oder einer mit gekreuzten Knochen? Mich würde interessieren, wie deine Meinung dazu ist, Lucianina.«
    Sie bläst ihn an wie ein feuerspeiender Drache, drückt ihre Kippe aus, steht auf und sagt: »Meine Meinung ist: Man müsste dir und deinesgleichen den Totenkopf auf die Stirn tätowieren und dazu die Aufschrift GEFÄHRDET DIE NATION. Kapiert?«
    Soviel, um ohne Groll und mit absoluter Objektivität darzulegen, wie schwierig die Beziehungen von uns Politikern mit dem spezifischen Sektor der bürgerlichen Gesellschaft, den die Ehefrauen repräsentieren, sein können.
    Es ist im Wesentlichen eine Frage der Sprache. Ich werde als eine »Kreatur« Migliarinis betrachtet, und das bin ich ja auch. Na und? Das Wort hat nichts Elendes, Demütigendes, sind wir denn nicht alle Kreaturen Gottes? Und jedenfalls ist es immer noch besser, als »die schwarze Seele« von Onorevole Bazzecca zu sein, der »Katarrh« von Onorevole Pugnotti, das »Bidet« von Onorevole Minima Malvolio, will mir scheinen.
    Wir waren dem Punkt nahe, an dem es kein Zurück mehr gibt, und Migliarini gefiel das gar nicht. »Nimm sie doch mit«, riet er mir, »lass sie an deinem Leben als Volksvertreter teilhaben, zeig ihr ein bisschen das Territorium, bring sie mit neuen Leuten zusammen.« Ich nahm sie mit, ich überredete sie, mit mir zum Meeting des Toten Gleises zu kommen, das die Bahnhofsvorsteher der Provinzen von Biella, Novara und Vercelli organisiert hatten, aber sie unterhielt sich überhaupt nicht, blieb während der ganzen Veranstaltung auf einem völlig negativen Standpunkt: Diese alten Güterwagen, sagte sie, diese verrosteten, von Brennnesseln überwucherten Gleise hätten die Reise nicht gelohnt.
    Daher, als Migliarini mich bat, die Partei auf der Nationalen Tagung des Falschen Invaliden zu vertreten, sagte Luciana: »Ohne mich. Am Samstag wollten wir doch nach Florenz, seit hundert Jahren schon möchte ich die restaurierte Kapelle von Benozzo Gozzoli sehen, und jedes Mal findest du eine Ausrede, um es wieder aufzuschieben. Jetzt reicht's!«
    »Aber Benozzo Gozzoli läuft doch nicht davon, während diese Tagung, die zudem in Apulien stattfindet, einer herrlichen Gegend ...«
    »Du nimmst mich doch nicht mit, um mir Apulien zu zeigen, du schleppst mich zu lauter falschen Blinden, falschen Lahmen, falschen Hirnverletzten, die jahrelang den Staat, also auch mich, beschissen haben. Nein, mein Lieber, das kommt nicht in Frage, ich fahre nach Florenz, und wenn du dich für den Falschen Invaliden entscheidest, ist das deine Sache.«
    Es war ein Entweder-Oder. Migliarini reagierte konstruktiv. »Hör mal, Slucca, das Problem der Falschen Invaliden ist äußerst delikat. Da ist diese BOFI, die Bewegung der Organisierten Falschen Invaliden, die neun Expräsidenten des Staatsrats wegen unterlassener Amtshandlungen und Anstiftung zu fortgesetztem Betrug vor Gericht bringen will.«
    »Aber sie sind doch die Betrüger, oder etwa nicht?« »Wer will das leugnen, Slucca, wer will das leugnen? Aber die bezichtigten Regierungen hätten das unterbinden,

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