Rolf Torring 021 - Unter Fanatikern
1. Kapitel.
Wieder gefangen.
Aufatmend sahen wir endlich die Sonne am Rand der weiten Steppe empor tauchen, denn wir hatten die ganze Nacht fröstelnd verbracht. Aus Vorsicht vor unseren jetzigen Gegnern, den Priestern der heiligen verbotenen Stadt Dhassa, hatten wir es nicht gewagt, ein Feuer anzuzünden. Waren wir doch nur mit Mühe und Not ihren Nachstellungen entkommen. (Siehe Band 20: "Der Flug nach Norden".)
Durch eine Räuberbande kamen wir nach mannigfaltig-gen Abenteuern im den verbotenen, heiligen Teil Lhasas, und hier waren wir den Priestern, die uns als Entweiher ihres Heiligtums fangen wollten, im letzten Augenblick entkommen. Über die mondhelle Steppe hatten wir uns bis in einen kleinen Hain — eine Seltenheit auf den Hochebenen Tibets — geflüchtet, und hier hatten wir die Nacht ohne Feuer verbracht.
Gott sei Dank hatten wir uns in Lhassa wärmere Kleidung besorgt, aber leider waren uns unsere Pferde, darunter das Packpferd mit unserem Proviant, abhanden gekommen.
Jetzt, beim Anbruch des Tages, hofften wir unbedingt auf Wild und damit auf Nahrung, und ferner auf Herden der halbwilden Pferde zu treffen. Nur dadurch konnten wir unseren Auftrag — die Enkelin eines hohen englischen Beamten aus dem fernen Alaska zu retten — erfüllen.
Unser Flugzeug, in dem wir die riesige Entfernung von Kaschmir zurücklegen wollten, lag ja nun leider weit hinter uns, in einer tiefen Schlucht des unwirtlichen Berglandes, jetzt mußten wir versuchen, auf Pferden die nächste chinesische Stadt zu erreichen, um dort vielleicht ein anderes Flugzeug oder ein schnelleres Beförderungsmittel zu finden.
Rolf blickte über die weite Steppe gen Osten. Dann meinte er:
„Wir wollen es jetzt also versuchen. Unsere Waffen haben wir ja Gott sei Dank noch, nur hat unser lieber Pongo seinen guten Massaispeer in den unterirdischen Gängen der verbotenen Stadt verloren. Aber wir werden schon für genügend Wild sorgen und hoffentlich bald auf eine Pferdeherde treffen, aus der wir Reittiere bekommen können. Also vorwärts, weiter gen Osten."
Wir rieben uns die steifen Glieder, warfen die Büchsen auf die Schultern und machten uns zum Aufbruch bereit.
Aber wir hatten noch keine drei Schritte getan, da rauschten von allen Seiten die Büsche. Und im nächsten Augenblick waren wir von wilden Gestalten umgeben, in einer Zahl, daß selbst die Munition unserer Pistolen und Büchsen nicht ausgereicht hätte, alle unschädlich zu machen.
Außerdem hielten uns die meisten ganz moderne Mehrladepistolen entgegen, und dagegen gab es kaum ein ernsthaftes Wehren.
Wir standen einfach still und blickten die wilden Gestalten an. Dann trat ein Mann vor, der sich durch besondere Größe auszeichnete. Und er sagte in gebrochenem Englisch:
„Ihr seid unsere Gefangenen. Kommt mit."
Dabei machte er eine so herrische, energische Bewegung, daß wir sofort den Ernst unserer Lage erfaßten. Irgendeinen Widerstand gab es hier nicht, wir mußten im Augenblick auf jeden Fall gehorchen.
Als wir uns stillschweigend in Bewegung setzten, nahmen uns plötzlich flinke, anscheinend sehr geübte Hände unsere Waffen fort. Das ging so schnell, daß wir uns gar nicht dagegen wehren konnten, und es hätte ja auch sehr wenig Zweck gehabt, denn die Übermacht war zu groß.
Rolf zuckte nur die Achseln. Und da unterließ ich es auch irgendeine feindliche Haltung gegen die Tibetaner einzunehmen, und Pongo richtete sich auf jeden Fall ganz nach uns.
Nun hatten wir gedacht, in Sicherheit und in Freiheit zu sein, und jetzt waren wir wieder in der Gewalt dieser fremden Menschen, denen wir doch gar nichts getan hatten.
Stumm ging unser Marsch über die sonnenbeschienene Steppe zurück den fernen Mauern entgegen, die rings um die geheimnisvolle, heilige Stadt liefen. Uns beachteten die Tibetaner gar nicht weiter. Sie hatten uns der Waffen beraubt, waren in großer Überzahl, und damit schien die ganze Angelegenheit für sie erledigt zu sein.
Natürlich grübelte ich während des Marsches über die Steppe unentwegt darüber nach, wie wir uns wohl retten könnten. Aber wir durften es im Augenblick ja gar nicht versuchen, denn ohne Waffen waren wir in diesen wilden Steppen verloren.
Also hieß es, ruhig mitgehen und später eine Gelegenheit zu erspähen, sowohl die Waffen als auch die Freiheit wieder zu erlangen. Verstohlen suchte ich die Gegner herauszufinden, die sich unserer Waffen bemächtigt hatten, aber das war in der Menge gar nicht möglich. Nur einen
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