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Der Untergang der Hölle (German Edition)

Der Untergang der Hölle (German Edition)

Titel: Der Untergang der Hölle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Thomas
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will meine Vergangenheit ruhen lassen. Und ich möchte auch Sie bitten, sie für immer begraben zu lassen.«

38. Die Schwimmer
    S ie trieb in einem glitzernden, scharlachroten Meer.Während sie mit Armen und Beinen strampelte, um sich an der Oberfläche zu halten, war weit über ihr der Nachthimmel mit funkelnden roten Sternen gesprenkelt, die wie Sternschnuppen scheinbar unkoordiniert in sämtliche Richtungen schwirrten. An Teilen des Himmels standen sie so dicht beieinander, dass sie einen leuchtenden Vorhang bildeten wie eine purpurne Aurora.
    Vee sah auf den Ozean hinab, in dem sie schwamm. Sein lavaartiges Glühen wogte über die nackte Brust und ihre Schultern. Sie konnte unterhalb des Wasserspiegels kaum etwas erkennen, aber die Flüssigkeit schien zu leben und aus zahllosen winzigen roten Organismen zu bestehen. Statt ein Gefühl von Nässe auszulösen, vermittelten sie ein subtiles, elektrisch zischelndes Gefühl auf der nackten Haut ihres Avatars.
    Sie befand sich in der Bibliothek von Freetown und surfte im Netz. Nun, sie surfte nicht wirklich; weit entfernt hatte sie einen Mann gesehen, der auf einem Brett eine große Informationswelle ritt und dabei »Juhuuu!« schrie, doch der Sektor, in dem sie aufgetaucht war, schien zum Glück etwas ruhiger zu sein. Sie verwendete ihre Energie nicht darauf, nach einem bestimmten Buch zu suchen, sondern versuchte stattdessen, sich besser mit der Navigation im Netz vertraut zu machen. Sie wollte zusammen mit Armdran an seinem Projekt weiterarbeiten – vor allem wollte sie sich der Grabungs- und Rettungsmannschaft anschließen, die ihm unterstand. Denn das war der Beruf, den sie sich wünschte, um als Bürgerin dem Wohl Freetowns zu dienen.
    Am Horizont hob sich eine Stadt aus glitzernden roten Türmen vor dem Sternenhimmel ab. Gefährte, die wie große Luftschiffe und herumsausende Helikopter aussahen, bewegten sich zwischen den Neonwolkenkratzern aus Information. Viele davon waren kaum mehr als skelettartige Rahmen und Baugerüste, doch die Bürger von Freetown – ebenso wie die Vernetzten, die Leute aus Naraka und sogar aus L.A. und anderen Kolonien, auf die sie noch nicht gestoßen war –, ließen sie von Tag zu Tag höher gen Himmel wachsen. Vee wollte an Land gehen und forschen. Aber sie wollte auch untertauchen und die Tiefen des Ozeans erkunden, um zu sehen, welche Schätze auf seinem Grund lagen. Und um sich ein Bild davon zu machen, was dort unten um ihre Beine herumschwamm und Fischschwärmen glich. Alles zu seiner Zeit. Sie hatte alle Zeit der Welt, wie Armdran betont hatte. Sie hielt sich für eine Anfängerin, die vollauf damit beschäftigt war, schwimmen zu lernen.
    Vee schöpfte etwas Wasser in die hohle Hand und ließ es zwischen den Fingern hindurchrinnen. Als sie es auf diese Weise näher betrachtete, stellte sie fest, dass die Moleküle, aus denen es bestand, in Wirklichkeit Zahlen waren. Es handelte sich um Computercode, in mikroskopisch kleine Einheiten verpackt.
    Ein großer Fisch, vielleicht sogar ein Wal, tauchte an der Grenze zur Finsternis unter ihr hindurch. Sie konnte nicht anders, als sich angesichts seiner Größe unbehaglich zu fühlen. Doch der bleiche, geisterhafte Leviathan – oder war es ein U-Boot, gefüllt mit erfahreneren Entdeckern, als sie es war? – verschwand schon bald außer Sichtweite, vielleicht um größere Tiefen zu sondieren. Sie entspannte sich und ließ sich vom sanften Schwung der Wellen auf und ab wiegen.
    Dann packte etwas ihren rechten Fuß am Gelenk. Sie keuchte. Diesen Fisch hatte sie nicht kommen sehen. War es ein Hai? Es gab einen starken Ruck und Vee tauchte fast unter. Sie schlug mit den Armen wild aufs Wasser und wäre beinahe in Panik geraten, weil sie fürchtete zu ertrinken. Ihre Hände wirbelten Fontänen aus phosphoreszierenden Tropfen auf; wie Wasser, das vor einem Stroboskoplicht herabregnet. Perlen aus Blut, die aus einem Blutozean hervorsprudelten.
    Die Kreatur, die ihr Bein gepackt hatte, zog ein zweites Mal, diesmal mit deutlich höherem Kraftaufwand. Jetzt wurde Vee mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen unter die Oberfläche gezogen. Sie spähte in die Tiefe, um zu erkennen, was sie festhielt, während sie gleichzeitig mit dem freien Bein danach trat.
    Die Kreatur, die zu ihr hinaufstarrte, besaß ein vertrautes Gesicht. Ihre Augen traten hasserfüllt aus den Höhlen hervor. Es war kein Hai, obwohl er bedrohlich die Zähne fletschte. Es handelte sich unzweifelhaft um einen Mann. Den

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