Der Untergang der islamischen Welt
Aggressoren, dagegen findet man in dem gleichen Buch dreizehn Seiten über die brutalen Kreuzritter, die sich an Verträge nicht halten und kein anderes Ziel verfolgen, als Muslime zu töten und die Kontrolle über ihre heiligen Stätten zu erlangen. Der Prototyp des Europäers als rücksichtsloser Aggressor ändert sich nicht in der Behandlung des Kolonialismus, der vierzig Seiten in Anspruch nimmt und damit das umfangreichste Kapitel des Buches bildet. Die Schüler müssen den Eindruck gewinnen, der Europäer von heute sei der Kreuzritter im modernen Gewand, ihn interessierten nur Ausbeutung und Ausrottung aller, die nicht seiner Kultur angehörten. Zwischen dem letzten Kreuzzug im 13 . Jahrhundert und Napoleons Ägyptenfeldzug Ende des 18 . Jahrhunderts liegen allerdings 507 Jahre islamisch-europäischer Geschichte, die kaum Erwähnung in den Geschichtsschulbüchern finden. Darunter waren aber vierhundert Jahre osmanischer Herrschaft in der arabischen Welt, und diese werden nicht als eine Epoche des Kolonialismus betrachtet, obwohl die Osmanen mehr zur Rückständigkeit der arabischen Welt beigetragen haben als die europäischen Kolonialmächte.
Die Osmanen und ihre Herrschaft in der arabischen Welt werden im ägyptischen Schulbuch für die Sekundarstufe am Rande abgehandelt. Das liegt daran, dass die Osmanen Muslime waren. Die Umschlagabbildung dieses Geschichtsbuches zeigt, wie und gegen wen man die eigene Identität ausprägt: Rechts im Bild Kairos größte Moschee, gegenüber keine Kirche, obwohl Ägypten eine lange christliche Geschichte hatte und auch heute zehn Prozent der Ägypter christliche Kopten sind. Anstelle der Kirche ist das Gebäude der Suezkanal-Hauptverwaltung abgebildet, jenes Kanals, der für jahrzehntelange Konflikte zwischen Ägypten, Frankreich und England sorgte. Unten links ist Saladin, der Bezwinger der Kreuzritter, gefolgt von der islamischen Armee, die die grüne Fahne des Propheten trägt, zu sehen; gegenüber eine Szene aus dem Jom-Kippur- Krieg gegen Israel: Soldaten hissen die ägyptische Fahne auf der Halbinsel Sinai. In der Mitte die Profile von Religionsführern, Nationalhelden und Generälen, die gegen die Kolonialherrschaft kämpften. Das größte Profil gehört naturgemäß dem jetzigen Präsidenten Mubarak, der seine einzige Legitimität aus seiner Rolle als Luftwaffengeneral im Jom-Kippur-Krieg 1973 zieht. Die Umschlagcollage des Schulbuches ist für mich eine symbolische Verdichtung der islamischen Identität: überladen von Legenden, Konflikten und aufgeblasenen Kultfiguren. Obwohl der Titel des Buches »Die islamische Kultur und die Geschichte der Araber« heißt, stehen nicht die Denker und Wissenschaftler, sondern die Krieger und die religiösen Würdenträger im Mittelpunkt.
Merkwürdig ist, dass die meisten Herrscher in der islamischen Welt treue Verbündete des Westens sind. Ihr diktatorischer Machtstil wird von den westlichen Demokratien geduldet, teils erheblich protegiert, und fast immer werden sie mit Waffen und Entwicklungshilfe gestützt, damit sie die westlichen Interessen in ihrer Region verteidigen und dort für Stabilität sorgen – weiß Gott, was damit gemeint ist. Den Rücken von der westlichen Allianz gestärkt, gehen diese Despoten mit ihren Regimegegnern oft brutal um, um eben jene »Stabilität« zu sichern. Gleichzeitig werden die Regimegegner als Spione des Westens tituliert und der Westen in den Schulbüchern als der Grund für alle Übel dargestellt.
Nach dem 11 . September 2001 wurden die arabischen Staaten allerdings von ihren westlichen Verbündeten unter Druck gesetzt, um die Schulbücher vom Hass gegen den Westen und gegen Andersgläubige zu befreien. In einem nicht durchdachten Aktionismus wurden in der Tat einige Lehrinhalte entfernt, die unmissverständlich zum Hass aufrufen, vor allem in Saudi-Arabien und in Ägypten. Neue Passagen, die für das friedliche Zusammenleben zwischen den Völkern plädieren, wurden eingefügt, ohne jedoch die Grundhaltung der Schulbücher zu verändern. Es blieben viele problematische Passagen stehen, weil sie auf Koranpassagen oder Aussagen des Propheten basieren.
Beim oben ausführlich zitierten ägyptischen Geschichtsbuch handelt es sich bereits um die mildere, reformierte Fassung. Deshalb wirken die Lerninhalte oft widersprüchlich und unglaubwürdig. Diese Widersprüchlichkeit bis hin zu einer Schizophrenie ist überall in der islamischen Welt innerhalb und außerhalb der Schulen anzutreffen. Denn
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