Der Untergang der islamischen Welt
führt. Diese Veränderung führe zu einer neuen sozialen Mobilität, die sowohl für Erneuerung als auch für Fundamentalismus verantwortlich sei. Die Schlussfolgerung der Autoren lautet: Die Werte der Moderne verändern die islamische Welt.
Mein Buch »Der Untergang der islamischen Welt« bietet weder eine historische noch eine soziologisch-empirische Studie. Auch wenn die Geschichte des Zerfalls und die gesellschaftliche Dynamik von heute bei der Lektüre eine zentrale Rolle spielen, bleibt das Buch eine persönliche Analyse und eine Einschätzung der Entwicklungen in den Teilen der islamischen Welt, die ich kenne, nämlich den arabischen Staaten. Deshalb steht mein Geburtsland Ägypten im Mittelpunkt der Analyse, das ich nach wie vor als Mikrokosmos und Trendsetter in der islamischen Welt sehe, wenn es um Modernisierung oder Radikalisierung geht. Gesellschaftliche Prozesse und Fehlentwicklungen, die zum Reformstau führen, werden in den historischen, religiösen und politischen Kontext gestellt und analysiert. Das aus dem Koran abgeleitete Gottes- und Menschenbild sowie das Verständnis von Hierarchie und Ehre und deren Einfluss auf das Bildungssystem sowie auf die Selbst- und Fremdbilder werden Gegenstand der Diskussion sein.
Mir geht es weder darum, um Mitleid mit dem Patienten Islam zu werben, noch gegen ihn zu polemisieren, sondern darum, auf wenig beleuchtete Facetten der Problematik aufmerksam zu machen.
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Pulverfass Geschichte
oder: Nimm mir meinen
Sündenbock nicht weg!
E iner meiner liebsten Orte in München, wo ich derzeit lebe, ist der Olympiapark. Besonders zum Olympiaberg habe ich eine eigenartige Beziehung entwickelt, gleichsam eine Form des interkulturellen Dialogs. Der Olympiaberg ist kein eigentlicher Berg, sondern ein von Menschenhand aufgehäufter Hügel. Er ist gestaltet, angelegte Wege führen zum Gipfel, von dem aus sich ein herrlicher Blick über München öffnet. Doch erzählenswert daran ist weniger die Aussicht als die Entstehungsgeschichte des Olympiabergs. Denn der Hügel wurde auf einem ehemaligen Artillerieschießübungsplatz und Exerziergelände aus den Trümmern der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Münchner Häuser aufgeschüttet; eine Geschichte, wie sie jede größere deutsche Stadt kennt, die mir zeigt, was »Zivilisation« bedeutet.
Ich lese immer wieder neue und alte Definitionen von »Zivilisation«, die für mich kaum zufriedenstellend sind, weil sie oft »Zivilisation« mit »Kultur« verwechseln oder »Zivilisation« nur auf Urbanität, entwickelte Systeme von Transport, Vermessung und Schrift beschränken. Auch wenn Oswald Spengler zwischen Kultur und Zivilisation unterscheidet, bleibt seine Vorstellung von Zivilisation, als der stagnierenden Endphase einer Kultur, fragwürdig. Derartige Begriffsbestimmungen konzentrieren sich auf materielle Errungenschaften oder Erscheinungsbilder einer Kultur und vernachlässigen, allerdings mit Ausnahme von Spengler, die Geisteshaltung, das Geschichtsbewusstsein, die Selbstwahrnehmung und die Vorbilder, die eine Kultur besitzt, und die ich als das Herzstück einer Zivilisation ansehe. Ich ziehe es vor, die Zivilisation als immerwährende Neuverhandlung und Neuerfindung einer Kultur zu sehen.
Auf dem Gipfel des Münchner Olympiabergs stehend, habe ich meine eigene Definition von »Zivilisation« formuliert als
»die Fähigkeit einer Kultur, etwas Hässliches in etwas Ästhetisches zu verwandeln. Zivilisation ist die Fähigkeit zur Transformation und zur Entwaffnung der eigenen Geschichte.«
Nach dem Krieg hätten die Deutschen auf den Ruinen ihrer Städte jahre- und jahrzehntelang weinen und diejenigen verfluchen können, von denen sie bombardiert worden waren. Stattdessen erkannten sie, dass das Unglück zum größten Teil selbstverschuldet war und dass Jammern nichts bringen würde. Sie fingen an, mit ihren früheren Feinden zusammenzuarbeiten, um das eigene Land wiederaufzubauen. Die Erinnerung an die Geschehnisse des Krieges dient nicht dazu, Ressentiments gegen die einstigen Kriegsgegner zu schüren, sondern um zum Frieden zu mahnen.
Vor einigen Jahren forderte der ägyptische Schriftsteller Hamdy Abu-Golayyel die islamische Welt auf, nach dem Vorbild Deutschlands und Japans vor dem Westen zu kapitulieren und einen neuen Anfang zu wagen. Er meinte, die Kultur des Stolzes und des Widerstandes während und nach dem Kolonialismus hätte den Muslimen nichts außer Energieverlust und Rückständigkeit
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