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Der Untergang der islamischen Welt

Der Untergang der islamischen Welt

Titel: Der Untergang der islamischen Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hamed Abdel-Samad
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moralische Gegenteil von »uns« dargestellt. Er ist alles, was »wir« nicht sind und niemals sein dürfen. Natürlich wird auch auf einige positive Errungenschaften des Westens hingewiesen, doch Aufklärung und Demokratie werden überflogen. Die diktatorischen Regime errichten eine Barriere zwischen den Schülern und den demokratischen Systemen, die nicht als Vorbilder gedeutet werden sollen.
    Das Schulbuch spiegelt einerseits das Denken einer Gesellschaft wider und andererseits die Idee, nach der die Machthaber ihre Untertanen formen möchten. Es ist ein Wechselspiel: Zunächst kommen die Informationen aus dem informellen Wissen und aus dem kollektiven Gedächtnis des Volkes, werden dann aber politisch verfeinert, damit sie ins Herrschaftssystem und seine Identitätspolitik hineinpassen. Dennoch darf man die Wirkung des Schulbuches nicht überschätzen, denn das soziale Umfeld des Lehrers, der Einfluss der Moschee und des Fernsehens sind wesentlich gravierender. Die Schulbücher sagen wenig über das Bild des anderen, dafür aber mehr über das herrschende Selbstbild in der islamischen Welt. Sie zeigen uns, wie eine Kultur sich selbst wahrnimmt und was sie der nächsten Generation mit auf den Weg geben will. Sie sind ein Spiegel des Ressentiments und der Ohnmacht, die die Beziehung des Islam zum Westen seit Generationen prägt.

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Von Höhlen und Schatten
oder: Eine Kultur schämt sich,
will es aber nicht zugeben
    P latons Höhlengleichnis aus dem siebten Buch der »Politeia« trifft den seit mehreren Generationen beobachtbaren Zustand des Denkens in der islamischen Welt sehr genau. Eine Gruppe von Menschen, die seit ihrer Kindheit in einer Höhle so angebunden sind, dass sie nur die Höhlenwand vor sich sehen können. Hinter ihnen brennt ein Feuer, das Schatten auf die Wand wirft. So können die Menschen die Schatten ihrer selbst und das, was hinter ihnen geschieht, wahrnehmen. Wenn jemand hinter ihnen spricht, wirft die gegenüberliegende Wand die Worte zurück, weshalb die Menschen glauben, die Schatten sprächen zu ihnen. Die Kernfrage dieses Gleichnisses: Was würde geschehen, wenn diese Menschen sich von ihren Fesseln befreiten und umdrehen würden? Zunächst wären die Gefangenen vom Licht des Feuers geblendet und erschienen ihnen die Menschen und Gegenstände in der Höhle schemenhaft und irreal. Sie kehrten lieber zu ihrem vertrauten Schatten an der Wand zurück, um sich zu orientieren.
    Jahrhundertelang isolierte sich der islamische Teil vom Rest der Welt, starrte auf den eigenen Schatten und dachte, das sei die Welt, bis der überlegene »Andere« auftauchte und die Höhle gewaltsam öffnete. Als Napoleons Flotte im Jahre 1798 in Alexandrien landete, kam es zu einer asymmetrischen Begegnung zwischen einer technisch überlegenen europäischen Macht und einer im Stillstand verharrenden arabischen Kultur. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Islam als politischer Faktor kaum Bedeutung. Die Region wurde durch mamelukische Söldner regiert, und die Religion vermischte sich stark mit Aberglauben und Volksmythen. Trotzdem glaubten die Muslime auch damals, sie seien das Beste, was die Menschheit je hervorgebracht hatte, wie es im Koran steht.
    Die Aufgabe der religiösen Institution Al-Azhar war lediglich, das Auswendiglernen des Korans voranzutreiben, religiöse Gutachten zu den alltäglichen Dingen zu erstellen und der Fremdherrschaft der Kriegsfürsten eine gewisse Legitimität zu verleihen. Eine Schule war an die Moschee angeschlossen, doch die große Mehrheit der Ägypter konnte weder lesen noch schreiben. Erst das Auftauchen des »Anderen« machte die Muslime auf die eigene Schwäche und Rückständigkeit aufmerksam. Aber es war kein Küsschen, das Dornröschen geweckt hätte. Das Auftauchen des »Anderen« hätte eher einem Tritt in den Hintern geglichen, wenn sich die besiegten Fellachen nicht geweigert hätten, die Ankunft der Franzosen als den Anbruch eines neuen Zeitalters zu sehen, und so zogen sie sich das Kopfkissen des eigenen Glaubens über die Ohren.
    Fehlgeleiteten Modernisierungsversuchen des ägyptischen Herrschers Mohammad Ali Pascha folgten traumatische Erfahrungen mit Kolonialismus, Ausbeutung und Unterdrückung, die tief ins kollektive Gedächtnis aller Muslime eingraviert sind. Das Ergebnis ist eine »anthropologische Wunde«, wie es der syrische Philosoph Georg Tarabishi nennt; eine chronische Kränkung, die bis heute andauert. Immer provozierte die Begegnung der islamischen Welt mit dem

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