Der Untergang des Abendlandes
Römerkopf der vatikanischen Sammlung, der zwischen 100 und 250 entstanden ist, läßt sich der Gegensatz zwischen apollinischem und magischem Gefühl, zwischen der Fundamentierung des Ausdrucks in der Lagerung der Muskelpartien oder im »Blick« feststellen. Man arbeitet – in Rom selbst seit Hadrian – vielfach mit dem Steinbohrer, einem Werkzeug, das dem euklidischen Gefühl dem Stein gegenüber völlig widerspricht. Das Körperhafte, Stoffliche des Marmorblocks wird durch die Arbeit mit dem Meißel, der die Grenzflächen heraushebt, bejaht, durch den Bohrer, der die Flächen bricht und damit Helldunkelwirkungen schafft, verneint. Dementsprechend erlischt, gleichviel ob bei »heidnischen« oder christlichen Künstlern, der Sinn für die Erscheinung des nackten Körpers. Man betrachte die flachen und leeren Antinousstatuen, die doch entschieden antik gemeint waren. Hier ist nur der Kopf physiognomisch bemerkenswert, was in der attischen Plastik nie der Fall ist. Die Gewandung erhält einen ganz neuen Sinn, der die Erscheinung schlechthin beherrscht. Die Konsulstatuen des kapitolinischen Museums [Wulff, Altchristl.-byz. Kunst, S. 153 ff.] sind auffallende Beispiele. Durch die gebohrten Pupillen der ins Weite gerichteten Augen wird der gesamte Ausdruck dem Körper entzogen und in jenes »pneumatische«, magische Prinzip gelegt, das der Neuplatonismus und die Beschlüsse der christlichen Konzile nicht weniger als die Mithrasreligion und der Mazdaismus im Menschen voraussetzen. Um 300 schrieb der heidnische »Kirchenvater« Jamblich sein Buch über die Götterstatuen, [Vgl. Bd. II, S. 872 f. Geffcken, Der Ausgang des griech.-röm. Heidentums (1920), S. 113.] in denen das Göttliche substantiell anwesend ist und auf den Beschauer einwirkt. Gegen diese, der Pseudomorphose angehörende Idee des Bildes hat sich dann von Osten und Süden her der Bildersturm erhoben, der eine Auffassung der künstlerischen Schöpfung voraussetzt, die uns kaum zugänglich ist.
Viertes Kapitel: Musik und Plastik
I. Die bildenden Künste
1
Das Weltgefühl des höheren Menschen hat seinen symbolischen Ausdruck, wenn man von den mathematisch-naturwissenschaftlichen Vorstellungskreisen und der Symbolik ihrer Grundbegriffe absieht, am deutlichsten in den bildenden Künsten gefunden, deren es unzählige gibt.
Auch die Musik gehört dazu
, und hätte man ihre sehr verschiedenen Arten in die Untersuchungen über den Gang der Kunstgeschichte einbezogen, statt sie vom Gebiet der malerisch-plastischen Künste zu trennen, so wäre man im Verstehen dessen, um was es sich in dieser Entwicklung auf ein Ziel hin handelt, sehr viel weiter gekommen. Aber man wird den Gestaltungsdrang, der in den
wortlosen
[Sobald das Wort, ein Mitteilungszeichen des Verstehens, zum Ausdrucksmittel von Künsten wird, hört das menschliche Wachsein auf, als Ganzes etwas auszudrücken oder Eindrücke zu empfangen. Auch die künstlerisch gebrauchten Wortklänge – um vom
gelesenen
Wort hoher Kulturen, dem Medium der eigentlichen Literatur, zu schweigen – trennen unvermerkt Hören und Verstehen, denn die gewohnte Wortbedeutung spielt mit, und unter der immer zunehmenden Macht dieser Kunst sind auch die wortlosen Künste zu Ausdrucksweisen gelangt, welche die Motive mit Wortbedeutungen verknüpfen. So entsteht die
Allegorie
, ein Motiv,
das ein Wort bedeutet
, wie in der Barockskulptur seit Bernini; so wird die Malerei sehr oft zu einer Art Bilderschrift wie in Byzanz seit dem 2. Konzil von Nikäa (787), das den Künstlern Auswahl und Anordnung der Bilder entzog, und so unterscheidet sich auch die Arie Glucks, deren Melodie aus dem Sinn des Textes emporblüht, von derjenigen des Allessandro Scarlatti, dessen an sich gleichgültige Texte die Singstimme nur tragen sollen. Ganz frei von der Wortbedeutung ist der hochgotische Kontrapunkt des 13. Jahrhunderts,
eine reine Architektur von Menschenstimmen
, in welcher mehrere Texte, selbst verschiedensprachige, geistliche und weltliche, gleichzeitig gesungen wurden.] Künsten am Werke ist, niemals begreifen, wenn man die Unterscheidung optischer und akustischer Mittel für mehr als äußerlich hält. Das ist es
nicht
, was Künste von einander scheidet. Die Kunst des Auges und Ohres – damit ist gar nichts gesagt. Die
physiologischen
Bedingungen gar des Ausdrucks, der Empfängnis, der Vermittlung hat nur das 19. Jahrhundert überschätzen können. So wenig ein »singendes« Bild von Lorrain oder Watteau sich im eigentlichen Sinn
Weitere Kostenlose Bücher