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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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für das wahre Bild der Geschichte hoher Kulturen und seine Struktur blind gemacht hat. Die Kunstgeschichte ist ein besonders deutliches Beispiel. Nachdem man das Vorhandensein einer Anzahl konstanter und wohldefinierter Kunstgebiete als selbstverständlich angenommen hatte, entwarf man die Geschichte dieser Einzelgebiete nach dem ebenso selbstverständlichen Schema Altertum – Mittelalter – Neuzeit, wobei denn die indische und ostasiatische Kunst, die Kunst von Axum und Saba, die Kunst der Sassaniden und Rußlands keinen Platz fanden und als Anhang oder gar nicht behandelt wurden, ohne daß jemandem an dieser Folge die Sinnlosigkeit der Methode aufgegangen wäre: dieses Schema wollte und mußte nun mit Tatsachen um jeden Preis ausgefüllt sein. Man verfolgte unbedenklich ein sinnloses Auf und Nieder. Man sprach von Zeiten des Stillstandes als »natürlichen Pausen«, von »Zeiten des Niedergangs« dort, wo in Wirklichkeit eine große Kunst starb, von »Zeiten der Wiedergeburt«, wo für den unbefangenen Blick ganz deutlich eine
andre
Kunst in einer andern Landschaft und als Ausdruck eines andern Menschentums geboren wurde. Man lehrt noch heute, daß die Renaissance eine Wiedergeburt der Antike gewesen sei. Man folgert endlich daraus die Möglichkeit und das Recht, Künste, die man schwach oder schon tot findet – die Gegenwart ist da ein wahres Schlachtfeld – durch bewußte Neubildungen, Programme oder gewaltsame »Wiederbelebungen« aufs neue in Gang zu bringen.
    Aber gerade die Frage, weshalb eine große Kunst – das attische Drama mit Euripides, die florentinische Plastik mit Michelangelo, die Instrumentalmusik mit Liszt, Wagner und Bruckner – mit einer als Symbol wirkenden Plötzlichkeit zu enden pflegt, ist geeignet, das Organische dieser Künste zu erleuchten. Man sehe genau zu und man wird sich überzeugen, daß von der »Wiedergeburt« auch nur
einer
bedeutenden Kunst noch nie die Rede gewesen ist.
    Vom Pyramidenstil ist
nichts
in den dorischen übergegangen. Den antiken Tempel verbindet
nichts
mit morgenländischen Basiliken, denn die Herübernahme der antiken Säule als Bauglied – für den oberflächlichen Blick das Wichtigste – wiegt nicht schwerer als Goethes Verwendung der antiken Mythologie in seiner klassischen Walpurgisnacht. An die Wiedergeburt irgendeiner antiken Kunst im Abendlande des 15. Jahrhunderts zu glauben, ist eine Einbildung seltsamer Art. Und die antike Spätzeit selbst verzichtete auf eine Musik großen Stils, deren Möglichkeiten in dorischer Frühzeit wohl vorhanden waren: das lehrt die Bedeutung des altertümlichen Sparta – Terpander, Thaletas, Alkman wirkten dort, als anderswo die Statuenkunst entstand – für das, was späterhin noch an Musik hervortrat. Ganz ebenso schwindet vor der Arabeske endlich alles hin, was die magische Kultur am Anfang im frontalen Bildnis, im Tiefenrelief und Mosaik versucht hatte, und vor der venezianischen Ölmalerei und der Instrumentalmusik des Barock, was an Plastik im Schatten gotischer Kathedralen zu Chartres, Reims, Bamberg, Naumburg und endlich im Nürnberg Peter Vischers und im Florenz Verrocchios entstanden war.
3
    Der Poseidontempel von Pästum und das Ulmer Münster, Werke der reifsten Dorik und Gotik, unterscheiden sich wie die euklidische Geometrie der körperlichen Grenzflächen und die analytische Geometrie der Lage von Raumpunkten in bezug auf die Raumachsen. Alle antike Baukunst beginnt außen, alle abendländische innen. Auch die arabische beginnt im Innern, aber sie hält sich auch dort. Einzig und allein die faustische Seele bedurfte eines Stils, der durch die Mauern in den grenzenlosen Weltraum dringt und Innen- wie Außenseite zu entsprechenden Bildern ein und desselben Weltgefühls macht. Basilika und Kuppelbau können draußen architektonisch
verziert
sein, aber sie sind dort nicht
Architektur
. Was man sieht, wenn man sich ihnen nähert, wirkt wie schützend und ein Geheimnis verdeckend. Die Formensprache in der höhlenhaften Dämmerung ist nur für die Gemeinde da, und darin besteht die Verwandtschaft zwischen den höchsten Beispielen dieses Stils und den einfachsten Mithräen und Katakomben. Das war der erste starke Ausdruck einer neuen Seele. Sobald der germanische Geist diesen basilikalen Typus in Besitz nimmt, beginnt eine wunderbare Veränderung aller Bauelemente nach Lage und Sinn. Hier im faustischen Norden bezieht sich von nun an die äußere Gestalt des Bauwerkes, und zwar vom Dom bis zum schlichten

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