Der Untergang des Abendlandes
ohne die Beziehung des Schattens zur
Tageszeit.
Dagegen sind schon bei den frühesten Niederländern Licht und Schatten
Farbentöne
und haften am Atmosphärischen.] Aber das eine ist von unmittelbar sinnlicher Natur. Es
erzählt
. Der Raum ist seinem Wesen nach transzendent. Er spricht zur Einbildungskraft. Für eine Kunst, die unter seiner Symbolik steht, ist die erzählende Seite eine Herabsetzung und Verdunkelung der tieferen Tendenz, und ein Theoretiker, der hier ein geheimes Mißverständnis fühlt, aber nicht begreift, klammert sich an den oberflächlichen Gegensatz von Inhalt und Form. Das Problem ist ein rein abendländisches und es enthüllt in seltener Weise die vollkommene Umkehrung, die sich in der Bedeutung der Bildelemente mit dem Abschluß der Renaissance und der Heraufkunft einer instrumentalen Musik großen Stils vollzogen hat. Die Antike konnte ein Problem wie das von Form und Inhalt in diesem Sinne gar nicht besitzen. Für eine attische Statue ist beides vollkommen identisch: der menschliche Leib. Der Fall der Barockmalerei wird noch verwickelter durch den Widerstreit des
volkstümlichen und des höheren Empfindens
. Alles Euklidisch-Greifbare ist auch populär, und das »Altertum« mithin die populäre Kunst im eigentlichen Sinne. Die Ahnung davon ist nicht zum wenigsten der unbeschreibliche Reiz, den alles Antike auf faustische Geister ausübt, die ihren Ausdruck
erkämpfen
, ihn der Welt abringen müssen. Für uns ist der Anblick des antiken Kunstwollens
die große Erholung
. Hier braucht nichts erobert zu werden. Es gibt sich von selbst. Und etwas Verwandtes hat der antigotische Zug in Florenz wirklich hervorgerufen. Raffael ist in manchen Seiten seines Schaffens populär, Rembrandt kann es nicht sein. Seit Tizian ist die Malerei immer esoterischer geworden, auch die Dichtung, auch die Musik. Die Gotik – Dante, Wolfram – war es von Anfang an gewesen. Die große Menge der Kirchenbesucher war niemals imstande, die Messen Ockeghems, Palestrinas oder gar Bachs zu verstehen. Sie langweilt sich bei Mozart und Beethoven. Sie läßt Musik lediglich auf die Stimmung wirken. In Konzerten und Galerien redet man sich nur Interesse an diesen Dingen ein, seit die Aufklärung die Phrase von der Kunst für alle geprägt hat. Aber eine faustische Kunst ist nicht für alle. Das gehört zu ihrem innersten Wesen. Wenn die neuere Malerei sich nur noch an einen kleinen Kreis von Kennern wendet, der immer enger wird, so entspricht das der Abwendung vom gemeinverständlichen Gegenstande. Damit ist dem »Inhalt« der Eigenwert aberkannt und die eigentliche Wirklichkeit dem Raume zugesprochen,
durch
den – nach Kant – erst die Dinge
sind
. Es ist seitdem ein schwer zugängliches metaphysisches Element in die Malerei gekommen, das sich dem Laien nicht preisgibt. Aber bei Phidias würde das Wort Laie keinen Sinn haben. Seine Plastik wendet sich ganz an das leibliche, nicht an das geistige Auge.
Eine raumlose Kunst ist a priori unphilosophisch
.
7
Hiermit hängt ein wichtiges Prinzip der
Komposition
zusammen. Man kann im Gemälde die einzelnen Dinge unorganisch über-, neben-, hintereinander stellen, ohne Perspektive und wechselseitiges Verhältnis, das heißt, ohne die Abhängigkeit ihrer Wirklichkeit von der Struktur des Raumes zu betonen, womit nicht gesagt ist, daß man sie leugnet. So zeichnen Naturmenschen und Kinder, bevor das Tiefenerlebnis die sinnlichen Welteindrücke einer tieferen Ordnung unterwirft. Aber diese Ordnung ist dem Ursymbol gemäß in jeder Kultur eine andere. Die uns selbstverständliche Art perspektivischer Zusammenfassung ist ein Einzelfall und von der Malerei anderer Kulturen weder anerkannt noch gewollt. Die ägyptische Kunst liebte die Darstellung gleichzeitiger Vorgänge in Reihen übereinander. So wurde die dritte Dimension aus dem Bildeindruck ausgeschaltet. Die apollinische Kunst stellte vereinzelte Figuren und Gruppen unter absichtlicher Vermeidung räumlicher und zeitlicher Beziehungen in die Bildfläche. Polygnots Fresken in der Lesche von Delphi waren ein berühmtes Beispiel. Ein Hintergrund, der die einzelnen Szenen verbunden hätte, fehlt. Er würde die Bedeutung der Dinge als des allein Wirklichen – gegenüber dem Raum als dem Nichtseienden – in Frage gestellt haben. Die Giebel des Tempels von Ägina, der Götterzug der Françoisvase und der Gigantenfries von Pergamon enthalten eine mäandrische Aufreihung vertauschbarer Einzelmotive, keinen Organismus. Erst der
Weitere Kostenlose Bücher