Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
Vom Netzwerk:
innigen Reinheit der Form gegenüber vergißt man, was die Gotik an Urgewalt und Tiefe voraus hat. Aber es muß noch einmal gesagt werden: die Gotik ist die
einzige
Grundlage der Renaissance. Die Renaissance hat die wirkliche Antike nicht einmal berührt, geschweige denn verstanden und »wiederbelebt«. Das ganz unter literarischen Eindrücken stehende Bewußtsein des Florentiner Kreises hat den verführerischen Namen geprägt, um dem Verneinenden der Bewegung eine Wendung ins Bejahende zu geben. Er beweist, wie wenig solche Strömungen von sich selbst wissen. Man wird hier nicht
ein
großes Werk finden, das die Zeitgenossen des Perikles oder selbst diejenigen Cäsars nicht als völlig fremd abgelehnt hätten. Diese Palasthöfe sind maurische Höfe; die Rundbogen auf den schlanken Säulen sind syrischen Ursprungs. Cimabue lehrte sein Jahrhundert, die Kunst der byzantinischen Mosaiken mit dem Pinsel nachzubilden. Von den beiden berühmten Kuppelbauten der Renaissance ist die Florentiner Domkuppel ein Meisterwerk der späten Gotik, die von St. Peter eines des frühen Barock. Und als Michelangelo sich vermaß, hier »das Pantheon auf die Maxentiusbasilika zu türmen«, nannte er zwei Bauwerke vom reinsten früharabischen Stil. Und das Ornament – ja, gibt es ein echtes Renaissanceornament? Etwas, das mit der symbolischen Gewalt gotischer Ornamentik vergleichbar ist, jedenfalls nicht. Aber welcher Herkunft ist dieser heitere und vornehme Schmuck, der von großer innerer Einheit ist und dessen Zauber ganz Westeuropa erlag? Es ist ein großer Unterschied zwischen der Heimat eines Geschmacks und der seiner Ausdrucksmittel. Man findet in den frühflorentinischen Motiven der Pisano, Maiano, Ghiberti, della Quercia viel Nordisches. Man unterscheide an all diesen Kanzeln, Grabmälern, Nischen, Portalen die äußere, übertragbare Form – als solche ist die ionische Säule ja selbst ägyptischer Herkunft – vom Geist der Formensprache, der sie als Mittel und Zeichen einverleibt wird. Alle antiken Einzelzüge sind gleichgültig, solange sie etwas Unantikes durch die Art ihrer Verwendung ausdrücken. Aber noch bei Donatello sind sie weit seltener als im hohen Barock. Ein streng antikes Kapitäl wird man überhaupt nicht finden.
    Und trotzdem ist für Augenblicke etwas Wunderbares erreicht worden, das durch Musik
nicht
wiederzugeben war, ein Gefühl für das Glück der vollkommenen
Nähe,
für reine, ruhende,
erlösende
Raumwirkungen von lichter Gliederung, frei von der leidenschaftlichen Bewegtheit der Gotik und des Barock. Das ist nicht antik, aber es ist ein Traum von antikem Dasein, der einzige, den die faustische Seele träumen, in dem sie sich vergessen konnte.
6
    Und nun erst, mit dem 16. Jahrhundert, geschieht in der abendländischen Malerei die entscheidende Wandlung. Die Vormundschaft der Architektur im Norden, der Skulptur in Italien erlischt. Die Malerei wird polyphon, »malerisch«, ins Unendliche schweifend. Die Farben werden Töne. Die Kunst des Pinsels verschwistert sich mit dem Stil der Kantate und des Madrigals. Die Ölfarbentechnik wird zur Grundlage einer Kunst, die den
Raum
erobern will, an den die Dinge sich verlieren. Mit Lionardo und Giorgione beginnt der Impressionismus.
    Im Gemälde vollzieht sich damit eine Umwertung aller Elemente. Der bis dahin gleichgültig entworfene, als Füllung angesehene, als Raum fast verheimlichte Hintergrund gewinnt entscheidende Bedeutung. Eine Entwicklung setzt ein, die in keiner andern Kultur, auch nicht in der sonst vielfach nahe verwandten chinesischen, ihresgleichen hat: der Hintergrund als Zeichen des Unendlichen überwindet den sinnlich-greifbaren Vordergrund. Es gelingt endlich – das ist der malerische im Gegensatz zum zeichnerischen Stil –, das Tiefenerlebnis der faustischen Seele in die Bildbewegung zu bannen. Das »Raumrelief« Mantegnas mit seinen Flächenschichten löst sich zur Richtungsenergie bei Tintoretto. Der
Horizont
taucht im Bilde auf als großes Symbol des grenzenlosen Weltraums, der die sichtbaren Einzeldinge als Zufälle in sich begreift. Man hat seine Darstellung im Landschaftsgemälde als so selbstverständlich empfunden, daß man nie die entscheidende Frage gestellt hat, wo überall er
fehlt
und was dieses Fehlen bedeutet. Man wird aber weder im ägyptischen Relief noch im byzantinischen Mosaik noch auf antiken Vasenbildern und Fresken, nicht einmal denen des Hellenismus mit ihrer Vordergrundsräumlichkeit, eine Andeutung des Horizontes

Weitere Kostenlose Bücher