Der Untergang des Abendlandes
einer unbeschreiblichen Mächtigkeit des Raumes nur von Rembrandt noch erreicht werden. Hier gewinnt man den Eindruck, als ob dies bläuliche Grün, dieselbe Farbe, in welche das Innere der großen Dome oft gehüllt ist, als die spezifisch
katholische
Farbe bezeichnet werden dürfe, vorausgesetzt, daß man allein jenes durch das lateranische Konzil von 1215 begründete und im Tridentinum vollendete faustische Christentum mit der Eucharistie als Mittelpunkt katholisch nennt. Diese Farbe steht in ihrer schweigsamen Größe sicherlich dem prunkvollen Goldgrund altchristlich-byzantinischer Bildwerke ebenso fern wie den geschwätzig-heitren, »heidnischen« Farben bemalter hellenischer Tempel und Statuen. Man beachte, daß die Wirksamkeit dieser Farbe
Innenräume
zur Aufstellung der Kunstwerke voraussetzt, im Gegensatz zum Gelb und Rot; die antike Malerei ist eine ebenso entschieden öffentliche wie die abendländische eine Atelierkunst. Die gesamte große Ölmalerei von Lionardo bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist nicht für das grelle Tageslicht gedacht. Hier kehrt der Gegensatz von Kammermusik und freistehender Statue wieder. Die oberflächliche Begründung dieser Tatsache durch das Klima wird, wenn es überhaupt nötig wäre, durch das Beispiel der ägyptischen Malerei widerlegt. Da der unendliche Raum für das antike Lebensgefühl ein vollkommenes Nichts ist, so würden Blau und Grün mit ihrer entwirklichenden und Fernen schaffenden Kraft die Alleinherrschaft des Vordergrundes, der vereinzelten Körper und damit den eigentlichen Sinn apollinischer Kunstwerke in Frage gestellt haben. Dem Auge eines Atheners wären Gemälde in den Farben Watteaus wesenlos und von einer schwer in Worte zu fassenden inneren Leere und Unwahrheit erschienen. Durch diese Farben wird die sinnlich empfundene, das Licht zurückstrahlende Fläche nicht als Zeugnis und Grenze eines Dinges, sondern als die des umgebenden Raumes gewertet. Deshalb fehlen sie dort und herrschen sie hier.
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Die arabische Kunst hat das magische Weltgefühl durch den
Goldgrund
ihrer Mosaiken und Tafelbilder zum Ausdruck gebracht. Man lernt seine verwirrend märchenhafte Wirkung und mithin seine symbolische Absicht aus den Mosaiken von Ravenna und bei den von lombardisch-byzantinischen Vorbildern noch ganz abhängigen frührheinischen und vor allem norditalienischen Meistern kennen, nicht zum wenigsten auch durch gotische Buchillustrationen, deren Vorbilder die byzantinischen Purpurcodices waren. Die Seele dreier Kulturen ist hier an einer nahe verwandten Aufgabe zu prüfen. Die apollinische erkannte nur das in Ort und Zeit unmittelbar Gegenwärtige als wirklich an – und sie verleugnete den Hintergrund in ihren Bildwerken; die faustische strebte über alle sinnlichen Schranken ins Unendliche – und sie verlegte den Schwerpunkt des Bildgedankens mittels der Perspektive in die Ferne; die magische empfand alles Geschehende als Ausdruck rätselhafter, die Welthöhle mit ihrer geistigen Substanz durchdringenden Mächte – und sie schloß die Szene durch einen Goldgrund ab, das heißt durch ein Mittel, das jenseits alles Farbig-Natürlichen steht. Gold ist überhaupt keine Farbe. Dem Gelb gegenüber entsteht der komplizierte sinnliche Eindruck durch die metallische diffuse Rückstrahlung eines an der Oberfläche durchscheinenden Mittels. Farben – sei es die farbige Substanz der geglätteten Wandfläche (Fresko) oder das mit dem Pinsel aufgetragene Pigment – sind natürlich; der in der Natur so gut wie nie vorkommende Metallglanz [Eine tiefsymbolische Bedeutung verwandter Art hat auch die glänzende
Politur
des Steines in der ägyptischen Kunst. Sie hält den Blick in einer über die Außenseite der Statue gleitenden Bewegung und wirkt damit entkörpernd. Umgekehrt ist der hellenische Weg vom Poros über den naxischen zum durchscheinenden parischen und pentelischen Marmor ein Zeugnis für die Absicht, den Blick in die stoffliche Wesenheit des Körpers eindringen zu lassen.] ist übernatürlich. Er gemahnt an die anderen Symbole dieser Kultur, die Alchymie und Kabbala, den Stein der Weisen, das heilige Buch, die Arabeske und die innere Form der Märchen aus 1001 Nacht. Das leuchtende Gold nimmt der Szene, dem Leben, den Körpern ihr handgreifliches Sein. Alles, was im Kreise Plotins und der Gnostiker über das Wesen der Dinge, ihre Unabhängigkeit vom Raume, ihre zufälligen Ursachen gelehrt wurde – für
unser
Weltgefühl paradoxe und fast unverständliche
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