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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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in der Melodik dieser ruhelosen und grenzenlosen Striche. Malerischer und zeichnerischer Stil: das bedeutet, von dieser Seite gesehen, den Gegensatz von historischer und ahistorischer Form, von Betonung oder Verleugnung der inneren Entwicklung, von Ewigkeit und Augenblick. Ein antikes Kunstwerk ist ein Ereignis, ein abendländisches eine Tat. Das eine symbolisiert ein punktförmiges Jetzt, das andere einen organischen Verlauf. Die Physiognomik der Pinselführung, eine völlig neue, unendlich reiche und persönliche, keiner andern Kultur bekannte Art von Ornamentik ist
rein musikalisch
. Man kann das
allegro feroce
des Franz Hals dem
andante con moto
Van Dycks, das Moll Guercinos dem Dur des Velasquez gegenüberstellen. Von nun an gehört der Begriff des
Tempo
zum malerischen Vortrag und er erinnert daran, daß diese Kunst die einer Seele ist, die im Gegensatz zur antiken nichts vergißt und vergessen sehen will, was einmal war. Das luftige Gewebe der Pinselstriche löst zugleich die sinnliche Oberfläche der Dinge auf. Die Konturen verschwinden im Helldunkel. Der Betrachter muß weit zurücktreten, um aus farbigen Raumwerten körperhafte Eindrücke zu gewinnen. Und es ist immer die farbig bewegte Luft, welche die Dinge aus sich gebiert.
    Zugleich erscheint von nun an ein Symbol höchsten Ranges im abendländischen Gemälde, das »
Atelierbraun
«, und beginnt die Wirklichkeit aller Farben mehr und mehr zu dämpfen. Die älteren Florentiner kannten es noch nicht, so wenig wie die alten niederländischen und rheinischen Meister. Pacher, Dürer, Holbein sind, so leidenschaftlich ihre Tendenz zur räumlichen Tiefe erscheint, ganz frei davon. Erst das endende 16. Jahrhundert gehört ihm. Dies Braun verleugnet seine Herkunft aus dem »infinitesimalen« Grün der Hintergründe Lionardos, Schongauers und Grünewalds nicht, aber es besitzt die größere Macht über die Dinge. Es führt den Kampf des Raumes gegen das Stoffliche zu Ende. Es überwindet auch das primitivere Mittel der Linearperspektive mit ihrem an architektonische Bildmotive gebundenen Renaissancecharakter. Es steht mit der impressionistischen Technik der sichtbaren Pinselstriche dauernd in einer geheimnisvollen Verbindung. Beide lösen das greifbare Dasein der sinnlichen Welt – der Welt des Augenblicks und der Vordergründe – endgültig in atmosphärischen Schein auf. Die Linie verschwindet aus dem tonigen Bilde. Der magische Goldgrund hatte nur von einer rätselhaften Macht geträumt, welche die Gesetzlichkeit der Körperwelt in dieser Welthöhle beherrscht und durchbricht; das Braun dieser Gemälde öffnet den Blick in eine reine formvolle Unendlichkeit. Im Werden des abendländischen Stils bezeichnet seine Entdeckung einen Höhepunkt.
Diese Farbe hat im Gegensatz zu dem vorhergehenden Grün etwas Protestantisches
. Der nordische, im Grenzenlosen schweifende Pantheismus des 18. Jahrhunderts, wie ihn die Verse der Erzengel im Prolog von Goethes Faust ausdrücken, ist in ihm vorweggenommen. Die Atmosphäre des König Lear und Macbeth ist ihm verwandt. Das gleichzeitige Streben der instrumentalen Musik nach immer reicheren Enharmonien, bei de Rore und Luca Marenzio, die Herausbildung des Tonkörpers der Streicher und Bläserchöre entspricht durchaus der neuen Tendenz in der Ölmalerei, von den reinen Farben aus durch die Unzahl bräunlicher Schattierungen und die Kontrastwirkung unvermittelt nebeneinander gesetzter Farbenstriche eine
malerische Chromatik
zu schaffen. Beide Künste breiten nun durch ihre Ton- und Farbenwelten – Farbentöne und Tonfarben – eine Atmosphäre reinster Räumlichkeit aus, die nicht mehr den Menschen als Gestalt, als Leib, sondern die hüllenlose Seele selbst umgibt und bedeutet. Eine Innerlichkeit wird erreicht, der in den tiefsten Werken Rembrandts und Beethovens kein Geheimnis sich mehr verschließt – eine Innerlichkeit allerdings, welche der apollinische Mensch durch seine streng somatische Kunst gerade hatte
abwehren
wollen.
    Die alten Vordergrundfarben, Gelb und Rot – die antiken Töne-, werden von nun an seltener und immer als bewußte Kontraste zu Fernen und Tiefen gebraucht, die sie steigern und betonen sollen (außer bei Rembrandt vor allem bei Vermeer). Dies der Renaissance vollkommen fremde atmosphärische Braun ist die unwirklichste Farbe, die es gibt. Es ist die einzige »Grundfarbe«,
die dem Regenbogen fehlt
. Es gibt weißes, gelbes, grünes, rotes, blaues Licht von vollkommenster Reinheit. Ein reines

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