Der Untergang des Abendlandes
braunes Licht liegt außerhalb der Möglichkeiten unsrer Natur. Alle die grünlichbraunen, silbrigen, feuchtbraunen, tiefgoldigen Töne, die bei Giorgione in prachtvollen Spielarten erscheinen, bei den großen Niederländern immer kühner werden und sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts verlieren, entkleiden die Natur ihrer greifbaren Wirklichkeit. Darin liegt beinahe ein religiöses Bekenntnis. Man spürt die Nähe der Geister von Port Royal, die Nähe von Leibniz. Bei Constable, dem Begründer einer
zivilisierten
Malweise, ist es ein andres Wollen, das nach Ausdruck sucht, und dasselbe Braun, das er bei den Holländern studiert hatte und das damals Schicksal, Gott, den Sinn des Lebens bedeutete, bedeutet nun ihm etwas andres, nämlich bloße Romantik, Empfindsamkeit, Sehnsucht nach etwas Entschwundenem, Erinnerung an die große Vergangenheit der sterbenden Ölmalerei. Auch den letzten deutschen Meistern, Lessing, Marées, Spitzweg, Diez, Leibl, [Sein Bildnis der Frau Gedon, ganz in Braun getaucht, ist das
letzte altmeisterliche Porträt
des Abendlandes, vollkommen im Stile der Vergangenheit gemalt.] deren verspätete Kunst ein Stück Romantik, ein Rückblick und Ausklang ist, erschien das tonige Braun als das kostbare Erbe der Vergangenheit, und sie setzten sich in Widerspruch zu den bewußten Tendenzen ihrer Generation – dem seelenlosen, entseelenden Freilicht der Generation Haeckels –, weil sie innerlich sich von diesem letzten Zuge des großen Stils noch nicht trennen konnten. In diesem noch heute nicht verstandenen Kampf zwischen dem Rembrandtbraun der alten und dem Freilicht der neuen Schule erscheint der hoffnungslose Widerstand der Seele gegen den Intellekt, der Kultur gegen die Zivilisation, der Gegensatz von symbolisch notwendiger Kunst und weltstädtischem Kunstgewerbe, mag es bauen, malen, meißeln oder dichten. Von hier aus wird die Bedeutung dieses Braun, mit dem eine ganze Kunst stirbt, fühlbar.
Die innerlichsten unter den großen Malern haben diese Farbe am besten verstanden, Rembrandt vor allem. Es ist dies rätselhafte Braun seiner entscheidenden Werke, das aus dem tiefen Leuchten mancher gotischen Kirchenfenster, aus der Dämmerung hochgewölbter Dome stammt. Der satte Goldton der großen Venezianer, Tizians, Veroneses, Palmas, Giorgiones, gemahnt immer wieder an jene alte, verschollene Kunst der nordischen Glasmalerei, von der sie kaum etwas wußten. Auch hier ist die Renaissance mit ihrer körperhaften Farbenwahl nur Episode, nur ein Ergebnis der Oberfläche, des Allzubewußten, nicht des Faustisch-Unbewußten in den Tiefen der abendländischen Seele. In diesem leuchtenden Goldbraun reichen sich in der venezianischen Malerei Gotik und Barock, die Kunst jener frühen Glasgemälde und die dunkle Musik Beethovens die Hand, gerade damals, als durch die Niederländer Willaert und de Rore und den älteren Gabrieli die Schule von Venedig den Barockstil der malerischen Musik begründete.
Braun war nunmehr die eigentliche Farbe
der Seele
, einer historisch gestimmten Seele geworden. Ich glaube, Nietzsche hat einmal von der braunen Musik Bizets gesprochen. Aber das Wort gilt eher von der Musik, die Beethoven für Streichinstrumente [Der Streichkörper repräsentiert im Orchesterklang die Farben der Ferne. Das bläuliche Grün Watteaus findet sich schon im bel canto der Neapolitaner um 1700, bei Couperin, bei Mozart und Haydn, das Bräunliche der Holländer bei Corelli, Händel und Beethoven. Auch die Holzbläser rufen helle Fernen herauf. Gelb und Rot dagegen, die Farben der Nähe, die
populären
Farben, gehören zum Klang der Blechinstrumente, der körperhaft bis zum Ordinären wirkt. Der Ton einer alten Geige ist vollkommen körperlos. Es verdient bemerkt zu werden, daß die hellenische Musik, so unbedeutend sie ist, von der dorischen Lyra zur ionischen Flöte – Aulos und Syrinx – überging und daß die strengen Dorer diese Tendenz zum Weichlichen und Niedrigen noch zur Zeit des Perikles getadelt haben.] geschrieben hat, und noch zuletzt von dem Orchesterklang Bruckners, der so oft den Raum mit einem bräunlichen Golde füllt. Alle andern Farben sind in eine dienende Rolle verwiesen, das helle Gelb und der Zinnober Vermeers, die mit wahrhaft metaphysischem Nachdruck wie aus einer andern Welt ins Räumliche hereinragen, und die gelbgrünen und blutroten Lichter, die bei Rembrandt mit der Symbolik des Raumes beinahe zu spielen scheinen. Bei Rubens, der ein glänzender Künstler, aber kein
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