Der Untergang des Abendlandes
die hellenische Plastik fortzusetzen glaubte. In beiden Fällen hat sie die endgültigen Ausdrucksformen des Barock, und zwar aus dem Geiste der Gotik, nur vorbereitet. Mantegna gehört zur Statik der Bildmotive, ebenso Signorelli, dessen Zeichnung und Haltung man später steif und kalt gefunden hat; mit Lionardo beginnt die Dynamik, und Rubens ist bereits ein Maximum der Bewegtheit schwellender Leiber.
Im Sinne der Renaissancephysik hat noch 1629 der Jesuit Nicolaus Cabeo eine Theorie des Magnetismus im Stil der aristotelischen Weltauffassung entwickelt, die ebenso wie Palladios Werk über die Baukunst (1578) keine Folgen haben konnte, nicht weil sie »falsch« gewesen wäre, sondern weil sie dem faustischen Naturgefühl widersprach, das durch die Denker und Forscher des 14. Jahrhunderts aus der arabisch-magischen Vormundschaft befreit worden war und das nun eigne Formen für den Ausdruck seiner Welterkenntnis brauchte. Cabeo verzichtet auf die Begriffe Kraft und Masse und beschränkt sich auf die klassischen: Stoff und Gestalt, das heißt er geht vom Geiste der Architektur des alternden Michelangelo und Vignolas auf den Michelozzos und Raffaels zurück und entwirft so ein vollkommen in sich geschlossenes, aber für die Zukunft belangloses System. Der Magnetismus als Zustand einzelner Körper, nicht als Kraft im grenzenlosen Raume – das konnte das innere Auge des faustischen Menschen symbolisch nicht befriedigen. Wir brauchen eine Theorie der Ferne, nicht der Nähe. Ein andrer Jesuit, Boscovich, hat Newtons mathematisch-mechanische Prinzipien als erster zu einer umfassenden eigentlichen Dynamik ausgestaltet (1758).
Selbst Galilei stand noch unter dem Eindruck starker Reminiszenzen des Renaissancegefühls, dem der Gegensatz von Kraft und Masse, aus der im architektonischen, malerischen und musikalischen Stil das Element der
großen Bewegung
folgt, fremd und unbequem war. Er beschränkt die Vorstellung der Kraft noch auf Berührungskräfte (Stoß) und formuliert lediglich eine Erhaltung der Quantität der Bewegung. Damit hält er am bloßen Bewegtsein unter Ausschluß eines räumlichen
Pathos
fest, und erst Leibniz entwickelte, gegen ihn polemisierend, die Idee der eigentlichen, im unendlichen Raum wirksamen,
freien, gerichteten
Kräfte (lebendige Kraft,
activum thema
), die er dann im Zusammenhang mit seinen mathematischen Entdeckungen vollkommen durchführte. An Stelle der Erhaltung der Bewegungsquantität trat die Erhaltung der lebendigen Kräfte. Das entspricht dem Ersatz der Zahl als Größe durch die Zahl als Funktion.
Der Begriff der Masse wurde erst etwas später deutlich ausgebildet. Bei Galilei und Kepler erscheint an seiner Stelle das Volumen, und erst Newton hat ihn mit Bestimmtheit
funktional
gefaßt: die Welt als Funktion Gottes. Es widerstrebt dem Renaissanceempfinden, daß die Masse – heute definiert als das konstante Verhältnis von Kraft und Beschleunigung in bezug auf ein System materieller Punkte – dem Volumen keineswegs proportional ist, wofür die Planeten ein wichtiges Beispiel gaben.
Aber Galilei mußte doch schon nach
Ursachen
der Bewegung fragen. Diese Frage hatte innerhalb einer eigentlichen, auf die Begriffe Stoff und Form beschränkten Statik keinen Sinn. Für Archimedes war die Ortsveränderung neben der Gestalt als dem eigentlichen Wesen alles körperhaften Daseins belanglos; was hätte auf die Körper wirken sollen – von außen –, da der Raum »nicht ist«? Die Dinge bewegen sich, sie sind nicht Funktionen einer Bewegung. Erst Newton schuf in völliger Unabhängigkeit von der Fühlweise der Renaissance den Begriff der
Fernkräfte,
der Anziehung und Abstoßung von Massen durch den Raum hindurch. Der Abstand
ist für ihn bereits eine Kraft.
Diese Idee hat nichts sinnlich Greifbares mehr, und Newton selbst empfand vor ihr einiges Unbehagen. Sie hatte ihn, nicht er sie ergriffen. Es ist der dem unendlichen Raum zugewandte Geist des Barock selbst, der diese
kontrapunktische, gänzlich unplastische
Auffassung hervorgerufen hat, und zwar mit einem inneren Widerspruch. Man hat diese Fernkräfte niemals hinreichend definieren können. Kein Mensch hat je begriffen, was eigentlich Zentrifugalkraft ist. Ist die Kraft der sich um ihre Achse drehenden Erde die Ursache dieser Bewegung oder umgekehrt? Oder sind beide identisch? Ist eine solche Ursache, für sich gedacht, eine Kraft oder eine andere Bewegung? Wie unterscheiden sich Kraft und Bewegung? Die Veränderungen im Planetensystem
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