Der Untergang des Abendlandes
Versuche Fresnels transversal sind, müßte der Äther ein fester Körper (mit wahrhaft grotesken Eigenschaften) sein, aber in diesem Falle würden die Elastizitätsgesetze für ihn gelten, und die Lichtwellen wären demnach longitudinal. Die Maxwell-Hertzschen Gleichungen der elektromagnetischen Lichttheorie, die in der Tat reine, unbenannte Zahlen von unzweifelhafter Gültigkeit sind, schließen jede Deutung durch irgendeine Mechanik des Äthers aus. Man hat nun den Äther, vor allem unter dem Eindruck von Folgerungen aus der Relativitätstheorie, als das reine Vakuum definiert, was doch nicht viel andres als eine Zerstörung des dynamischen Urbildes bedeutet.
Seit Newton besaß die Annahme einer konstanten Masse – das Gegenstück der konstanten Kraft – unbestrittene Gültigkeit. Die Quantentheorie von Planck und die daraus entwickelten Schlüsse von Niels Bohr auf die Feinstruktur der Atome, welche auf Grund von experimentellen Erfahrungen notwendig geworden waren, haben diese Annahme zerstört. Jedes abgeschlossene System besitzt neben der kinetischen Energie noch die Energie der strahlenden Wärme, die nicht von ihr trennbar und deshalb durch den Begriff der Masse nicht rein darstellbar ist. Denn wird die Masse durch die lebendige Energie definiert, so ist sie im Hinblick auf den thermodynamischen Zustand nicht mehr konstant. Indessen will die Einordnung des elementaren Wirkungsquantums in den Kreis von Annahmen der klassischen Barockdynamik nicht gelingen, und zugleich mit dem Grundsatz der Stetigkeit aller kausalen Zusammenhänge wird das von Newton und Leibniz begründete Fundament der Infinitesimalrechnung bedroht. [M. Planck, Die Entstehung und bisherige Entwicklung der Quantentheorie (1920), S. 17, 25.] Aber weit über diese Zweifel hinaus greift die Relativitätstheorie, eine Arbeitshypothese von zynischer Rücksichtslosigkeit, in den Kern der Dynamik ein. Auf die Versuche von Michelson gestützt, wonach die Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung des durchdrungenen Körpers unabhängig bleibt, von Lorentz und Minkowski mathematisch vorbereitet, enthält sie als ihre eigentliche Tendenz die Zerstörung
des Begriffs der absoluten Zeit
. Sie kann, worüber man sich heute bedenklich täuscht, durch astronomische Befunde weder bestätigt noch widerlegt werden. Richtig und falsch sind überhaupt nicht Begriffe, womit man über solche Annahmen zu urteilen hat; es handelt sich darum, ob sie in dem Chaos verwickelter und künstlicher Vorstellungen, das sich durch die zahllosen Hypothesen der radioaktiven und thermodynamischen Forschung herausgebildet hat, sich als
brauchbar
durchsetzt oder nicht. Aber so, wie sie ist,
hat sie die Konstanz aller physikalischen Größen aufgehoben, in deren Definition die Zeit eingegangen ist
, und die abendländische Dynamik besitzt im Gegensatz zur antiken Statik
nur
solche Größen. Absolute Längenmaße und starre Körper gibt es nicht mehr. Damit fällt auch die Möglichkeit absoluter quantitativer Bestimmungen und also der klassische Begriff der Masse als das konstante Verhältnis von Kraft und Beschleunigung – nachdem das elementare Wirkungsquantum, ein Produkt aus Energie und Zeit, soeben als neue Konstante aufgestellt worden war.
Macht man sich klar, daß die Atomvorstellungen von Rutherford und Bohr [Die vielfach zu der Einbildung geführt haben, die »wirkliche Existenz« von Atomen sei nunmehr bewiesen, ein sonderbarer Rückfall in den Materialismus des vorigen Jahrhunderts.] nichts bedeuten, als daß man das zahlenmäßige Ergebnis von Beobachtungen plötzlich mit einem Bilde unterlegt, das eine Planetenwelt im Innern des Atoms darstellt, während man bis jetzt die Vorstellung von Atomschwärmen vorzog; achtet man darauf, wie schnell heute Kartenhäuser aus ganzen Hypothesenreihen aufgeführt werden, so daß man jeden Widerspruch durch eine neue, schnell entworfene Hypothese überdeckt; bedenkt man, wie wenig Sorge man sich um die Tatsache macht, daß diese Bildermengen sich untereinander und dem strengen Bild der Barockdynamik widersprechen, so gelangt man endlich zu der Überzeugung, daß der
große Stil des Vorstellens zu Ende ist
und wie in Architektur und bildender Kunst einer Art
Kunstgewerbe der Hypothesenbildung
Platz gemacht hat; nur die äußerste Meisterschaft der experimentellen Technik, die dem Jahrhundert entspricht, vermag den Verfall der Symbolik zu verdecken.
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In den Kreis dieser Symbole des Niedergangs gehört nun vor allem die Entropie,
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