Der Untergang des Abendlandes
Ereignisse der menschlichen Urzeit überflüssig und man kann den Abstand der ältesten bisher bekannten Menschen vom Beginn der ägyptischen Kultur sich in einem Zeitmaß denken, dem gegenüber die 5000 Jahre historischer Kultur durchaus nicht verschwinden.] Und ganz ebenso sehen wir, wie diese raschen und tiefen Verwandlungen in die Geschichte der großen Kulturen eingreifen, ohne daß von sichtbaren Ursachen, Einflüssen und Zwecken irgendwie die Rede sein kann. Die Entstehung des gotischen und des Pyramidenstils vollzog sich ebenso plötzlich wie die des chinesischen Imperialismus unter Schi Hoang-ti und des römischen unter Augustus, wie die des Hellenismus, des Buddhismus, des Islam, und ganz ebenso steht es mit den Ereignissen in jedem bedeutenden Einzelleben. Wer das nicht weiß, ist kein Menschenkenner, vor allem kein Kinderkenner. Jedes tätige oder betrachtende Dasein schreitet
in Epochen
seiner Vollendung zu, und eben solche Epochen müssen wir in der Geschichte des Sonnensystems und der Welt der Fixsterne annehmen. Der Ursprung der Erde, der Ursprung des Lebens, der Ursprung des frei beweglichen Tieres
sind
solche Epochen und ebendeshalb Geheimnisse, die wir als solche hinzunehmen haben.
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Was wir vom Menschen wissen, scheidet sich klar in zwei große Zeitalter seines Daseins. Das erste [Dieses erste Zeitalter gliedert Spengler später in 3 Epochen, andeutungsweise schon in »Der Mensch und die Technik«, ausführlich in den unvollendeten »Urfragen«.] wird für unsern Blick begrenzt einerseits durch jene tiefe Fuge im Schicksal des Planeten, die wir heute als Anfang der Eiszeit bezeichnen und von der wir innerhalb des Bildes der Erdgeschichte nur feststellen können,
daß
hier eine kosmische Änderung stattgefunden hat; andrerseits durch den Beginn der hohen Kulturen am Nil und Euphrat, womit der ganze Sinn des menschlichen Daseins plötzlich ein anderer wird. Wir entdecken überall die scharfe Grenze von Tertiär und Diluvium und wir finden diesseits den Menschen vor als fertig ausgebildeten Typus, mit Sitte, Mythos, Kunst, Schmuck, Technik vertraut und von einem Körperbau, der sich seitdem nicht merklich verändert hat.
Wenn wir das erste Zeitalter das der primitiven Kultur nennen, so ist das einzige Gebiet, auf dem sich diese Kultur, allerdings in einer sehr späten Form, lebendig und ziemlich unberührt während des ganzen zweiten Zeitalters und heute noch erhalten hat, das nordwestliche Afrika. Dies klar erkannt zu haben, ist das große Verdienst von L. Frobenius. [»Und Afrika sprach« (1912); »Paideuma«, Umrisse einer Kultur- und Seelenlehre (1920). – Frobenius unterscheidet
drei
Zeitalter. H. K.] Die Voraussetzung war, daß hier
eine ganze Welt
primitiven Lebens und nicht etwa nur eine Anzahl primitiver Stämme dem Eindruck hoher Kulturen entzogen blieb. Was die Völkerpsychologen gern in allen fünf Weltteilen zusammensuchen, sind dagegen Völkerfragmente, deren Gemeinsames in der rein negativen Tatsache besteht, daß sie mitten unter den hohen Kulturen leben, ohne innerlich an ihnen beteiligt zu sein. Es sind also teils zurückgebliebene, teils minderwertige, teils entartete Stämme, deren Äußerungen noch dazu unterschiedslos vermengt werden.
Die primitive Kultur war aber etwas
Starkes
und
Ganzes
, etwas höchst Lebendiges und Wirkungsvolles; nur ist sie so verschieden von allem, was wir Menschen einer hohen Kultur als seelische Möglichkeiten besitzen, daß man daran zweifeln darf, ob selbst jene Völker, mit denen das erste Zeitalter noch tief in das zweite hineinreicht, in ihrer heutigen Art des Daseins und Wachseins Schlüsse auf den Zustand der alten Zeit erlauben.
Das menschliche Wachsein steht seit Jahrtausenden unter dem Eindruck der Tatsache, daß die beständige Fühlung der Stämme und Völker untereinander etwas Selbstverständliches und Alltägliches ist. Wir haben aber für das erste Zeitalter damit zu rechnen, daß der Mensch in einer äußerst geringen Anzahl kleiner Scharen sich in den endlosen Weiten der Landschaft, deren Bild durchaus von den gewaltigen Massen großer Tierherden beherrscht wird, vollständig verliert. Die Seltenheit der Funde beweist das mit Sicherheit. Zur Zeit des Homo Aurignacensis schweiften auf dem Boden Frankreichs vielleicht ein Dutzend Horden von einigen hundert Köpfen umher, für die es ein rätselhaftes Ereignis von tiefstem Eindruck war, wenn sie einmal das Vorhandensein von Mitmenschen bemerkten. Können wir uns überhaupt
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