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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Geschichte des deutschen Laubwaldes, so ist die geologische Schichtung der Erde die Voraussetzung und eine in ihren besonderen Schicksalen nicht weiter zu untersuchende Tatsache. Fragen wir nach dem Ursprung der Kreideformation, so ist das Vorhandensein der Erde selbst als eines Planeten im Sonnensystem kein Problem. Oder anders betrachtet: daß es in der Sternenwelt eine Erde, daß es auf der Erde das Phänomen »Leben«, daß es in diesem die Form »Mensch«, daß es in der Menschengeschichte die organische Form der Kulturen gibt, ist jedesmal ein Zufall im Bilde der nächst höheren Schicht. Goethe hatte von seiner Straßburger bis zur ersten Weimarer Zeit einen starken Hang zur Einstellung auf die Weltgeschichte – die Entwürfe zum Cäsar, Mahomet, Sokrates, Ewigen Juden, Egmont zeugen davon –, aber seit jenem schmerzlichen Verzicht auf eine politische Wirksamkeit großen Stils, der aus dem »Tasso« noch in dessen endgültiger, vorsichtig resignierter Fassung zu uns redet, schaltete er gerade diese aus und lebte fortan mit der fast gewaltsamen Beschränkung auf das Bild der Pflanzen-, Tier- und Erdgeschichte, seiner »lebendigen Natur«, und andrerseits in der Biographie.
    Alle diese Bilder haben, in denselben Menschen entwickelt, dieselbe Struktur. Auch die Geschichte der Pflanzen und Tiere, auch die der Erdrinde und der Sterne ist
fable convenue
und spiegelt in der äußeren Wirklichkeit die Tendenz des eigenen Daseins wider. Eine vom subjektiven Standpunkt des betrachtenden Menschen, seiner Zeit, seines Volkes und selbst seiner sozialen Stellung abgelöste Betrachtung der Tiere oder der Gesteinsschichtung ist ebensowenig möglich wie die der Revolution oder des Weltkrieges. Die berühmten Theorien von Kant und Laplace, Cuvier, Lyell, Lamarck, Darwin haben auch eine politisch-wirtschaftliche Färbung und zeigen gerade durch den gewaltigen Eindruck, den sie auf ganz unwissenschaftliche Kreise hervorgerufen haben, den gemeinsamen Ursprung der Auffassung all dieser historischen Schichten. Was sich aber heute vollendet, ist die letzte dem faustischen Geschichtsdenken noch vorbehaltene Leistung: die organische Verbindung dieser Einzelschichten untereinander und ihre Eingliederung in eine einzige ungeheure Weltgeschichte von einheitlicher Physiognomik, in welcher der Blick vom Leben des einzelnen Menschen nun ohne Unterbrechung bis zu den ersten und letzten Schicksalen des Universums reicht. Das 19. Jahrhundert hat – in mechanistischer, also ungeschichtlicher Fassung – die Aufgabe
gestellt
. Es gehört zu den Bestimmungen des 20., sie zu lösen.
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    Das Bild, welches wir von der Geschichte der Erdrinde und der Lebewesen besitzen, wird augenblicklich noch immer von Anschauungen beherrscht, welche das zivilisierte englische Denken seit der Aufklärungszeit aus den englischen Lebensgewohnheiten entwickelt hat. Die »phlegmatische« geologische Theorie Lyells von der Bildung der Erdschichten und die biologische Darwins von der Entstehung der Arten sind tatsächlich nur Nachbilder der Entwicklung Englands selbst. Sie setzen an die Stelle unberechenbarer Katastrophen und Metamorphosen, wie sie der große Leopold von Buch und Cuvier anerkannten, eine methodische Entwicklung mit sehr langen Zeiträumen und erkennen als Ursachen nur
wissenschaftlich erreichbare
, und
zwar mechanische
Zweckmäßigkeitsursachen an.
    Diese »englische« Art von Ursachen ist nicht nur flach, sondern auch viel zu eng. Sie beschränkt die möglichen Zusammenhänge erstens auf Vorgänge, die sich in ihrem
ganzen
Verlauf an der Erdoberfläche vollziehen. Damit werden alle großen kosmischen Beziehungen zwischen den Lebenserscheinungen der Erde und Ereignissen des Sonnensystems oder der Sternenwelt überhaupt ausgeschaltet und die ganz unmögliche Behauptung vorausgesetzt, daß die Außenseite der Erdkugel ein allseitig isoliertes Gebiet des Naturgeschehens sei. Und man setzt zweitens voraus, daß Zusammenhänge, die mit den Mitteln des heutigen menschlichen Wachseins – Empfinden und Denken – und ihrer Verfeinerung durch Instrumente und Theorien nicht erfaßbar sind, auch nicht vorhanden sind.
    Es wird das naturgeschichtliche Denken des 20. von dem des 19. Jahrhunderts unterscheiden, daß dieses System von Oberflächenursachen, dessen Wurzeln in den Rationalismus der Barockzeit zurückreichen, beseitigt und durch eine reine Physiognomik ersetzt wird. Wir sind Skeptiker allen kausal erklärenden Denkweisen gegenüber. Wir lassen die Dinge

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