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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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zwischen Kräften aber heißt Wirkung. Für einen Römer war der Sklave eine Sache, die neue Sachen hervorbrachte. Der Begriff des geistigen Eigentums ist einem Schriftsteller wie Cicero nie gekommen, geschweige denn der des Eigentums an einer praktischen Idee oder den Möglichkeiten einer großen Begabung. Für uns aber ist der Organisator, Erfinder und Unternehmer eine
erzeugende
Kraft, die auf andere,
ausführende
Kräfte wirkt, indem sie ihnen Richtung, Aufgabe und Mittel zu eigner Wirkung gibt. Beide gehören dem Wirtschaftsleben an nicht als Besitzer von Sachen, sondern als Träger von Energien.
    Eine Umstellung des gesamten Rechtsdenkens nach Analogie der höheren Physik und Mathematik wird zur Forderung der Zukunft. Das gesamte soziale, wirtschaftliche, technische Leben wartet darauf, endlich in diesem Sinne begriffen zu werden; wir brauchen mehr als ein Jahrhundert schärfsten und tiefsten Denkens, um dies Ziel zu erreichen. Und dazu bedarf es einer ganz andern Art der Vorbildung des Juristen. Sie fordert
    1. eine unmittelbare ausgedehnte und
praktische
Erfahrung im Wirtschaftsleben der Gegenwart,
    2. eine genaue Kenntnis der Rechtsgeschichte des Abendlandes, unter beständiger Vergleichung der deutschen, englischen und romanischen Entwicklung,
    3. die Kenntnis des antiken Rechts, und zwar
nicht
als eines Musters der heute geltenden Begriffe, sondern als glänzendes Beispiel dafür, wie ein Recht sich rein aus dem praktischen Leben der Zeit entwickelt.
    Das römische Recht hat aufgehört, für uns der Ursprung der für immer gültigen Grundbegriffe zu sein. Aber das Verhältnis zwischen dem römischen Dasein und den römischen Rechtsbegriffen macht es uns von neuem wertvoll. Wir können an ihm lernen, wie wir unser Recht aus
eignen
Erfahrungen herauszubilden haben.
     

Zweites Kapitel: Städte und Völker
I. Die Seele der Stadt
1
    Am Ägäischen Meer liegen um die Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. zwei Welten sich gegenüber, eine, die in dumpfen Ahnungen, hoffnungsschwer und trunken von Leid und Tat der Zukunft leise heranreift: die mykenische – und eine andere, die sich heiter und gesättigt hinlagert unter den Schätzen einer alten Kultur, fein und leicht, alle großen Probleme weit hinter sich: die minoische auf Kreta.
    Wir werden diese Erscheinung, die eben heute in den Mittelpunkt der Forschung rückt, nie wirklich verstehen, wenn wir den Abgrund der Gegensätze nicht ermessen, der zwischen beiden Seelen liegt. Die Menschen von damals müssen ihn tief gefühlt, aber kaum »erkannt« haben. Ich sehe es vor mir: das ehrfürchtige Hinaufschauen der Burgbewohner von Tiryns und Mykene zu der unerreichten Geistigkeit der Lebensgewohnheiten in Knossos; die Verachtung, mit welcher dessen gepflegte Bevölkerung auf jene Häuptlinge und ihr Gefolge herabblickte; und doch wieder ein heimliches Gefühl von Überlegenheit bei diesen gesunden Barbaren, wie es jeder germanische Soldat den greisenhaften Würdenträgern Roms gegenüber hatte.
    Woher wir das wissen dürfen? – Es gab mehr solcher Augenblicke, wo die Menschen zweier Kulturen sich ins Auge sahen. Wir kennen mehr als ein »zwischen den Kulturen«. Es kommen da Stimmungen zum Vorschein, welche zu den aufschlußreichsten der Menschenseele gehören. Wie ohne Zweifel zwischen Knossos und Mykene, so war auch das Verhältnis zwischen dem byzantinischen Hofe und den deutschen Großen, die wie Otto II. dorthin heirateten, das helle Verwundern der Ritter und Grafen, und als Antwort darauf das verächtliche Erstaunen einer feinen, etwas welken und müden Zivilisation über die bärenmäßige Morgenfrühe und Frische der deutschen Lande, wie es Scheffels Ekkehard beschreibt.
    In Karl dem Großen tritt jene Mischung urmenschlichen Seelentums kurz vor dem Erwachen und einer späten darüber gelagerten Geistigkeit hell zutage. Wir können ihn nach gewissen Zügen seiner Herrschaft als den Kalifen von Frankistan bezeichnen; andererseits ist er noch der Häuptling eines germanischen Stammes; in der Mischung von beiden liegt das Symbolische der Erscheinung, wie in den Formen der Aachener Palastkapelle, die nicht mehr Moschee und noch nicht Dom ist. Die germanisch-abendländische Vorkultur schreitet unterdessen langsam und unterirdisch vor, aber jenes plötzliche Aufleuchten, das wir ungeschickt genug als karolingische Renaissance bezeichnen, kam durch einen Strahl von Bagdad her. Man übersehe nicht, daß die Zeit Karls des Großen eine Episode der Oberfläche

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