Der Untergang des Abendlandes
begrifflich und also syntaktisch auseinander, was mit dem antiken Schema noch eben erfaßbar war und was nicht.
Warum mußte der Diebstahl von elektrischer Kraft, nach einem grotesken Streit, ob es sich um eine körperliche Sache handle, 1900 durch ein Notgesetz unter Strafe gestellt werden? Warum kann der Inhalt der Patentgesetze nicht in das Sachenrecht hineingearbeitet werden? Warum vermag das Urheberrecht die geistige Schöpfung, deren mitteilbare Gestalt als Manuskript und das gegenständliche Druckwerk begrifflich nicht auseinanderzuhalten? Warum mußte im Widerspruch zum Sachenrecht an einem Gemälde das künstlerische und das materielle Eigentum durch die Trennung vom Erwerb des Originals und des Reproduktionsrechtes unterschieden werden? Warum ist die Entwendung einer geschäftlichen Idee oder eines Organisationsplanes straffrei, die Entwendung des Papierstückes, auf dem der Entwurf steht, aber nicht? Weil wir heute noch von
dem antiken Begriff der körperlichen Sache
beherrscht sind. [BGB § 90.] Wir leben anders. Unsere instinktive Erfahrung steht unter den
funktionalen
Begriffen der Arbeitskraft, des Erfinder- und Unternehmergeistes, der geistigen, körperlichen, künstlerischen, organisatorischen Energien, Fähigkeiten und Talente. Unsere Physik, deren weit fortgeschrittene Theorie ein genaues Abbild unserer heutigen Lebensweise ist, kennt den alten Begriff des Körpers, wie gerade die Lehre von der elektrischen Kraft beweist, überhaupt nicht mehr. Warum ist unser Recht begrifflich ohnmächtig gegenüber den großen Tatsachen der heutigen Wirtschaft? Weil es auch die Person
nur als Körper
kennt.
Wenn das abendländische Rechtsdenken antike Worte übernahm, so blieb nur das Oberflächlichste der antiken Bedeutung an ihnen haften. Der Textzusammenhang erschließt nur den
logischen
Wortgebrauch und nicht das Leben, das ihm zugrunde lag. Die stille Metaphysik alter Rechtsbegriffe ist durch keinen Gebrauch im Denken fremder Menschen wieder zu erwecken. Gerade das Letzte und Tiefste ist in keinem Recht der Welt ausgesprochen, weil es selbstverständlich ist. Jedes von ihnen setzt das Wesentliche schweigend voraus; es wendet sich an Menschen, die außer der Satzung auch das nie Auszusprechende und gerade dieses innerlich verstehen und zu gebrauchen wissen. Jedes Recht ist in einem nie zu überschätzenden Maße Gewohnheitsrecht: mag das Gesetz die Worte definieren; das Leben
deutet
sie.
Wenn aber eine von Gelehrten behandelte fremde Rechtssprache mit ihrem Begriffsschema das eigne Recht binden will, so bleiben die Begriffe leer und das Leben stumm. Das Recht wird nicht zur Waffe, sondern zur Last und die Wirklichkeit schreitet nicht mit, sondern neben der Rechtsgeschichte fort.
Und deshalb ist der von den Tatsachen unserer Zivilisation geforderte Rechtsstoff dem antiken Schema der Rechtsbücher zum Teil äußerlich, zum Teil gar nicht eingegliedert, und damit für das Rechtsdenken und also das Denken der Gebildeten noch formlos und mithin nicht vorhanden.
Sind Personen und Sachen im Sinne unserer heutigen Gesetzgebung überhaupt Rechtsbegriffe? Nein! Sie ziehen nur eine banale Grenze zwischen dem Menschen und dem übrigen, sie treffen eine sozusagen naturwissenschaftliche Unterscheidung. Aber an dem römischen Begriff
persona
haftete einst die ganze Metaphysik des antiken Seins: der Unterschied von Mensch und Gottheit, das Wesen der Polis, des Heros, des Sklaven, des Kosmos aus Stoff und Form, das Lebensideal der Ataraxie sind die selbstverständliche Voraussetzung, die für uns durchaus verschwunden ist. Das Wort Eigentum ist in unserem Denken mit der antiken
statischen
Definition behaftet und fälscht deshalb in allen Anwendungen den dynamischen Charakter unserer Lebensführung. Wir überlassen solche Definitionen weltfremden und abstrakten Ethikern, Juristen, Philosophen und dem verständnislosen Gezänk politischer Doktrinäre, und dennoch beruht das
ganze
Verstehen der Wirtschaftsgeschichte dieser Tage
auf der Metaphysik dieses einen Begriffes
.
Und deshalb sei es hier in aller Schärfe gesagt: Das antike Recht war ein
Recht von Körpern
, unser Recht ist das von
Funktionen
. Die Römer schufen eine juristische Statik, unsere Aufgabe ist eine juristische Dynamik. Für uns sind Personen nicht Körper, sondern Einheiten der Kraft und des Willens, und Sachen nicht Körper, sondern Ziele, Mittel und Schöpfungen dieser Einheiten. Die antike Beziehung zwischen Körpern war die Lage, die Beziehung
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