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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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civil
noch das preußische Landrecht, weder Grotius noch Mommsen sind sich dieser Tatsache deutlich bewußt. Weder die Ausbildung des Juristenstandes noch die Literatur lassen auch nur die geringste Ahnung von dieser eigentlichen »Quelle« des geltenden Rechts aufkommen.
    Infolgedessen besitzen wir ein Privatrecht auf der schattenhaften Grundlage
der spätantiken Wirtschaft
. Die tiefe Erbitterung, welche mit dem Beginn des zivilisierten abendländischen Wirtschaftslebens die Namen Kapitalismus und Sozialismus einander entgegenstellt, beruht zum großen Teil darauf, daß das gelehrte Rechtsdenken und unter seinem Einfluß das Denken der Gebildeten überhaupt so entscheidende Begriffe wie Person, Sache und Eigentum an Zustände und Einteilungen des antiken Lebens anknüpft. Das Buch stellt sich zwischen die Tatsachen und ihre Auffassung. Der Gebildete – und das heißt der durch Bücher Gebildete – wertet heute noch wesentlich antik. Der nur Tätige und nicht zum Urteil Erzogene fühlt sich mißverstanden. Er bemerkt den Widerspruch zwischen dem Leben der Zeit und seiner rechtlichen Erfassung und sucht nach dem, welcher ihn, seiner Meinung nach aus Eigennutz, hervorgebracht hat.
    Es ist wieder die Frage: Von wem und für wen wird das abendländische Recht geschaffen? Der römische Prätor war Grundbesitzer, Offizier, in Verwaltungs- und Finanzfragen erfahren und erst damit für seine richterliche und zugleich rechtsetzende Tätigkeit geschult. Der
praetor peregrinus
entwickelte das Fremdenrecht als wirtschaftliches Verkehrsrecht einer spätantiken Weltstadt, und zwar ohne Plan und Tendenz, nur aus wirklich vorliegenden Fällen heraus.
    Der faustische Wille zur Dauer aber verlangt ein Buch, das »von nun an für immer« gilt, [Was in England für immer gilt, ist die ständige Form der Weiterbildung des Rechtes durch die Praxis.] ein System, das jeden überhaupt möglichen Fall vorwegnehmen soll. Dies Buch, eine gelehrte Arbeit, schuf sich mit Notwendigkeit einen gelehrten Stand von Rechtsschöpfern und Rechtsverwaltern: die Doktoren der Fakultäten, die alten deutschen Juristenfamilien, die französische
noblesse de robe
. Die englischen
judges
, wenig mehr als hundert, werden zwar dem höheren Verteidigerstand (den
barristers
) entnommen, stehen aber im Rang selbst über den Ministern.
    Ein gelehrter Stand ist weltfremd. Er verachtet die Erfahrung, die nicht aus dem Denken stammt. Es erhebt sich ein unvermeidlicher Kampf zwischen der fließenden Sitte des praktischen Lebens und dem »Stand der Wissenschaft«. Jene Pandektenhandschrift des Irnerius ist durch Jahrhunderte »die Welt« gewesen, in welcher der gelehrte Jurist lebte. Selbst in England, wo es keine Rechtsfakultäten gibt, nahm die Juristenzunft die Ausbildung des Nachwuchses ausschließlich in die Hand und sonderte damit die Entwicklung der Rechtsbegriffe von der allgemeinen Entwicklung ab.
    Was wir bis heute Rechtswissenschaft nennen, ist also entweder Philologie der Rechtssprache oder Scholastik der Rechtsbegriffe. Es ist die einzige Wissenschaft, die heute noch den Sinn des Lebens aus »ewigen« Grundbegriffen ableitet. »Die deutsche Rechtswissenschaft von heute stellt in sehr bedeutendem Maße ein Erbe der Scholastik des Mittelalters dar. Ein rechtstheoretisches Durchdenken der Grundwerte unseres
wirklichen
Lebens hat noch nicht angefangen. Wir kennen diese Werte noch gar nicht.« [Sohm, Inst., S. 170.]
    Dies ist eine Aufgabe, welche dem deutschen Denken der Zukunft vorbehalten ist. Es handelt sich darum, aus dem praktischen Leben der Gegenwart dessen tiefste Prinzipien zu entwickeln und sie zu grundlegenden Rechtsbegriffen zu erheben. Die großen Künste liegen hinter uns, die Rechtswissenschaft liegt vor uns.
    Denn die Arbeit des 19. Jahrhunderts war, sie mochte sich selbst für noch so schöpferisch halten, lediglich Vorbereitung.
Sie hat uns von dem Buche Justinians befreit, nicht von dessen Begriffen
. Die Ideologen des römischen Rechts unter den Gelehrten kommen nicht mehr in Betracht, aber die Gelehrsamkeit alten Stils ist geblieben. Eine andere Art von Rechtswissenschaft ist notwendig, um uns auch vom Schema dieser Begriffe zu befreien. Die philologische muß durch eine soziale und wirtschaftliche Erfahrung abgelöst werden.
    Ein Blick auf das deutsche Privatrecht und Strafrecht enthüllt die Lage. Es sind Systeme, die von einem Kranz von Nebengesetzen umgeben sind. Es war unmöglich, deren Stoff dem Hauptgesetz einzuverleiben. Hier fällt

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