Der Untergang des Abendlandes
zerstörte Großstadt als
spätantike Weltstadt
ersten Ranges wieder aufbaute und nun von Westen her apollinisches Greisentum, von Osten magische Jugend hereinströmte; und dann noch einmal, als 1096 vor den Mauern der jetzt
spätarabischen Weltstadt
die Kreuzfahrer unter Gottfried von Bouillon erschienen – von denen die geistreiche Anna Komnena in ihrem Geschichtswerk ein schonungslos verächtliches Bild entwirft [Dieterich, Byz. Charakterköpfe, S. 136 f.] –, wo in die letzten Herbsttage dieser Zivilisation etwas Frühlingshaftes hereinbricht. Diese Stadt hat als die östlichste der antiken Zivilisation die Goten, und ein Jahrtausend später als die nördlichste der arabischen die Russen bezaubert: da steht die gewaltige Basiliuskathedrale in Moskau von 1554, die russische Vorkultur einleitend, »zwischen den Stilen«, wie über einen Raum von zwei Jahrtausenden hinweg der salomonische Tempel zwischen der Weltstadt Babylon und dem frühen Christentum.
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Der ursprüngliche Mensch ist ein
schweifendes
Tier, ein Dasein, dessen Wachsein sich ruhelos durch das Leben tastet, ganz Mikrokosmos, ortsfrei und heimatlos, mit scharfen und ängstlichen Sinnen, immer darauf bedacht, der feindlichen Natur etwas abzujagen. Eine tiefe Wandlung beginnt erst mit dem Ackerbau – denn dies ist etwas Künstliches, wie es Jägern und Hirten durchaus fern liegt: wer gräbt und pflügt, will die Natur nicht plündern, sondern
abändern
. Pflanzen heißt etwas nicht nehmen, sondern
erzeugen.Aber damit wird man selbst zur Pflanze
, nämlich Bauer. Man wurzelt in dem Boden, den man bestellt. Die Seele des Menschen entdeckt eine Seele in der Landschaft; eine neue Erdverbundenheit des Daseins, ein neues Fühlen meldet sich. Die feindliche Natur wird zur Freundin. Die Erde wird zur
Mutter
Erde. Zwischen säen und zeugen, Ernte und Tod, Kind und Korn entsteht eine tiefgefühlte Beziehung. Eine neue Frömmigkeit richtet sich in chthonischen Kulten auf das fruchttragende Land, das mit den Menschen zusammenwächst. Und als vollkommener Ausdruck dieses Lebensgefühls entsteht überall
die sinnbildliche Gestalt des Bauernhauses
, das in der Anlage seiner Räume und in jedem Zuge seiner äußeren Form vom Blut der Bewohner redet. Das Bauernhaus ist das große Symbol der Seßhaftigkeit. Es ist selbst Pflanze; es senkt seine Wurzeln tief in den »eigenen« Boden. Es ist
Eigentum
im heiligsten Sinne. Die guten Geister des Herdes und der Tür, des Grundstücks und der Räume: Vesta, Janus, die Laren und Penaten haben ihren festen Ort so gut wie der Mensch selbst.
Dies ist die Voraussetzung jeder Kultur, die selbst wieder pflanzenhaft aus ihrer Mutterlandschaft emporwächst und die seelische Verbundenheit des Menschen mit dem Boden noch einmal vertieft. Was dem Bauern sein Haus,
das ist dem Kulturmenschen die Stadt
. Was dem einzelnen Hause die guten Geister, das ist jeder Stadt ihr Schutzgott oder Heiliger. Auch die Stadt ist ein pflanzenhaftes Wesen. Alles Nomadenhafte, alles rein Mikrokosmische liegt ihr ebenso fern wie das Bauerntum. Deshalb ist jede Entwicklung einer höheren Formensprache an die Landschaft gebunden. Weder eine Kunst noch eine Religion können den Ort ihres Wachstums verändern. Erst die Zivilisation mit ihren Riesenstädten verachtet wieder diese Wurzeln des Seelentums und löst sich von ihnen. Der zivilisierte Mensch,
der intellektuelle Nomade
ist wieder ganz Mikrokosmos, ganz heimatlos, geistig frei wie die Jäger und Hirten es sinnlich waren.
Ubi bene ibi patria
– das gilt vor und nach einer Kultur. Im Vorfrühling der Völkerwanderung war es die jungfräuliche und doch schon mütterliche Germanensehnsucht, die im Süden eine Heimat suchte, um für ihre künftige Kultur ein Nest zu bauen. Heute, am Ende dieser Kultur, schweift der wurzellose Geist durch alle landschaftlichen und gedanklichen Möglichkeiten. Dazwischen aber liegt die Zeit, wo der Mensch für ein Stück Erde
stirbt
.
Es ist eine ganz entscheidende und in ihrer vollen Bedeutung nie gewürdigte Tatsache, daß alle großen Kulturen Stadtkulturen sind. Der höhere Mensch des zweiten Zeitalters ist ein
städtebauendes Tier
. Dies ist das eigentliche Kriterium der »Weltgeschichte«, das sie von der Menschengeschichte überhaupt aufs schärfste abhebt –
Weltgeschichte ist die Geschichte des Stadtmenschen
. Völker, Staaten, Politik und Religion, alle Künste, alle Wissenschaften beruhen auf
einem
Urphänomen menschlichen Daseins: der Stadt. Da alle Denker aller
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