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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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das
wache
Leben sich selbst prüft, ist Stadtpoesie, und der große Roman, der Blick des
befreiten
Geistes auf alles Menschliche, setzt die Weltstadt voraus. Es gibt, wenn man das echte Volkslied ausnimmt, nur Stadtlyrik, und wenn man von der »ewigen« Bauernkunst absieht, nur eine städtische Malerei und Architektur mit einer raschen und kurzen Geschichte.
    Und nun die laute Formensprache dieser großen Steingebilde, wie sie die Stadtmenschheit selbst, ganz Auge und Geist, im Widerspruch zur leiseren Sprache der Landschaft, in ihre Lichtwelt hineinträgt! Die Silhouette der großen Stadt, die Dächer mit ihren Schornsteinen, die Türme und Kuppeln am Horizont! Welche Sprache redet ein Blick auf Nürnberg und Florenz, auf Damaskus und Moskau, auf Peking und Benares! Was wissen wir vom Geist antiker Städte, da wir ihre Linien am südlichen Himmel, im Licht des Mittags, unter Wolken, am Morgen, in der sternhellen Nacht nicht kennen! Diese Straßenzüge, gerade oder krumm, breit oder schmal, die niedrigen, steilen, hellen, düsteren Häuser, welche mit ihren Fassaden, ihren
Gesichtern
, in allen abendländischen Städten auf die Straße herabblicken und in allen morgenländischen fensterlos und vergittert ihr den Rücken kehren; der Geist der Plätze und Winkel, Abschlüsse und Durchblicke, der Brunnen und Denkmäler, der Kirchen, Tempel und Moscheen, Amphitheater und Bahnhöfe, Bazare und Rasthäuser; und dann wieder die Vorstädte, Gartenhäuser und Haufen von Mietskasernen zwischen Unrat und Äckern, die vornehmen und armen Viertel, die Suburbia im antiken Rom und der Faubourg St. Germain in Paris, das alte Bajä und das heutige Nizza, die kleinen Stadtbilder von Rothenburg und Brügge und das Häusermeer von Babylon, Tenochtitlan, Rom und London! Alles das hat Geschichte und ist Geschichte. Ein großes Ereignis der Politik und das Gesicht einer Stadt legt sich in andere Falten. Napoleon hat dem bourbonischen Paris und Bismarck dem kleinstaatlichen Berlin eine andere Miene gegeben. Das Bauerntum aber steht unbewegt, mürrisch und zornig daneben. In der frühesten Zeit beherrscht das
Landschaftsbild
das menschliche Auge
allein
. Es formt die Seele des Menschen, es schwingt mit ihm. Ein gleicher Takt geht durch sein Fühlen und das Rauschen der Wälder. Seine Gestalt, sein Gang, seine Tracht sogar schmiegen sich den Wiesen und Gebüschen an. Das Dorf mit seinen stillen, hügelartigen Dächern, dem Rauch am Abend, den Brunnen, Zäunen und Tieren liegt ganz in die Landschaft verloren und eingebettet. Die Landschaft
bestätigt
das Land, sie ist eine Steigerung seines Bildes; erst die späte Stadt trotzt ihm. Mit ihrer Silhouette widerspricht sie den Linien der Natur. Sie verneint alle Natur. Sie will etwas anderes und Höheres sein. Diese scharfen Giebel, diese barocken Kuppeln, Spitzen und Zinnen haben in der Natur nichts Verwandtes und wollen es nicht haben, und zuletzt beginnt die riesenhafte Weltstadt, die
Stadt als Welt
, neben der es keine andere geben
soll
, die Vernichtungsarbeit am Landschaftsbilde. Einst hatte die Stadt sich ihm hingegeben, jetzt will sie es dem eigenen gleich machen. Da werden draußen aus Feldwegen Heerstraßen, aus Wäldern und Wiesen Parks, aus Bergen Aussichtspunkte; eine künstliche Natur wird in der Stadt selbst erfunden, Fontänen statt der Quellen, Blumenbeete, Wasserstreifen, beschnittene Hecken statt der Wiesen, Teiche und Büsche. In einem Dorfe liegt das strohgedeckte Dach noch wie ein Hügel, die Gasse wie ein Rain da. Hier aber eröffnen sich die Schluchten hoher und langgestreckter steinerner Straßen, voll von farbigem Staub und fremdartigem Lärm; Menschen hausen darin, wie kein natürliches Wesen sie je geahnt hatte. Die Trachten, selbst die Gesichter sind auf einen Hintergrund von Stein abgestimmt. Des Tags entfaltet sich ein Straßentreiben in seltsamen Farben und Tönen, des Nachts ein neues Licht, das den Mond überstrahlt. Und der Bauer steht ratlos auf dem Pflaster, eine lächerliche Gestalt, nichts verstehend und von niemand verstanden, gut genug für die Komödie und um dieser Welt das Brot zu schaffen.
    Daraus folgt aber, und das ist wesentlicher als alles andere: alle politische, alle Wirtschaftsgeschichte kann nur begriffen werden, wenn man die vom Lande sich mehr und mehr absondernde und das Land zuletzt völlig entwertende Stadt als das Gebilde erkennt, welches den Gang und Sinn der höheren Geschichte überhaupt bestimmt.
Weltgeschichte ist

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