Der Untergang des Abendlandes
»Urworten« drei Viertel aus dem Ägyptischen oder Babylonischen des 3. Jahrtausends stammten, so würden wir im Sanskrit nach einem Jahrtausend schriftloser Entwicklung nichts mehr davon bemerken, denn auch die zahllosen lateinischen Lehnworte im Deutschen sind längst völlig unkenntlich geworden. Die Endung -ette in Henriette ist etruskisch – wie viele »echt arische« oder »echt semitische« Endungen mögen sonst noch fremd und als Fremdlinge nur nicht mehr nachweisbar sein? Wie erklärt sich die auffallende Ähnlichkeit vieler Worte in australischen und indogermanischen Sprachen?
Das indogermanische System ist sicherlich das jüngste und deshalb das geistigste. Die von ihm abgeleiteten Sprachen beherrschen heute die Erde, aber ist es um 2000 als grammatische Sonderkonstruktion überhaupt schon vorhanden gewesen? Bekanntlich wird heute eine einzige Ausgangsform für das Arische, Semitische und Hamitische als wahrscheinlich angenommen. Die ältesten indischen Schriftreste fixieren den Sprachzustand vielleicht von 1200, die ältesten griechischen vielleicht von 700. Aber indische Personen- und Götternamen kommen zugleich mit dem Pferde schon viel früher in Syrien und Palästina vor, [Ed. Meyer, Gesch. d. Alt.21, § 455, 465.] und zwar erscheinen ihre Träger wohl zunächst als Söldner, dann als Machthaber. Man erinnere sich, wie die spanischen Feuerwaffen einst auf die Mexikaner gewirkt haben. Sollten diese Landwikinger – mit dem Pferd verwachsene Menschen, deren schreckenerregenden Eindruck noch die Kentaurensage spiegelt – sich um 1600 überall abenteuernd in den nordischen Ebenen festgesetzt und die Sprache und Götterwelt der indischen Ritterzeit mitgebracht haben? Zugleich mit dem arischen Standesideal der Rasse und Lebensführung? Nach dem, was oben über Rasse gesagt worden ist, würde das ohne alle »Wanderungen« eines »Urvolkes« das Rasseideal arisch sprechender Gebiete erklären. Die ritterlichen Kreuzfahrer haben ihre Staaten im Morgenlande nicht anders begründet, und zwar an genau derselben Stelle wie 2500 Jahre früher die Helden mit den Mitanni-Namen. [Spengler unterscheidet hier noch nicht die Streitwagen- von den viel späteren Reitervölkern. Siehe Tabelle I. H.K.]
Oder war dies System um 3000 nur ein bedeutungsloser Dialekt einer Sprache, die verloren ist? Die romanische Sprachfamilie beherrschte um 1600 n. Chr. alle Meere. Um 400 v. Chr. besaß die »Ursprache« am Tiber ein Gebiet von 50 Quadratmeilen. Es ist sicher, daß das geographische Bild der grammatischen Familien um 4000 noch ein sehr buntes war. Die semitisch-hamitisch-arische Gruppe –
wenn
sie einmal eine Einheit gewesen ist – hatte damals wohl kaum sehr große Bedeutung. Wir stoßen bei Schritt und Tritt auf die Trümmer alter Sprachfamilien, die sicherlich einst zu sehr verbreiteten Systemen gehörten: das Etruskische, Baskische, Sumerische, Ligurische, die alten kleinasiatischen Sprachen sind darunter. Im Archiv von Boghazköi sind bis jetzt acht neue Sprachen festgestellt worden, die um 1000 im Gebrauch gewesen sind. Bei dem damaligen Tempo der Veränderung kann das Arische um 2000 eine Einheit mit Sprachen gebildet haben, von denen wir es heute nicht erraten würden.
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Die Schrift ist eine ganz neue Sprachart und bedeutet eine völlige Abänderung der menschlichen Wachseinsbeziehungen, indem sie sie
vom Zwange der Gegenwart befreit
. Bildersprachen, die Gegenstände bezeichnen, sind viel älter, älter wahrscheinlich als alle Worte; hier aber bezeichnet das Bild nicht mehr unmittelbar ein Sehding, sondern zunächst ein Wort, etwas vom Empfinden bereits Abgezogenes. Es ist das erste und einzige Beispiel einer Sprache, welche ein ausgebildetes Denken als vorhanden fordert und nicht mit sich bringt.
Die Schrift setzt also eine vollentwickelte Grammatik voraus, denn die Tätigkeit des Schreibens und Lesens ist unendlich viel abstrakter als die des Sprechens und Hörens. Lesen heißt ein Schriftbild mit
dem Bedeutungsgefühl für die zugehörigen Wortklänge verfolgen
. Die Schrift enthält Zeichen nicht für Dinge, sondern für andere Zeichen. Der grammatische Sinn muß durch augenblickliches Verstehen ergänzt werden.
Das Wort gehört zum Menschen überhaupt; die Schrift gehört ausschließlich zum Kulturmenschen. Sie ist im Gegensatz zur Wortsprache von den politischen und religiösen Schicksalen der Weltgeschichte nicht nur teilweise, sondern ganz und gar bedingt. Alle Schriften entstehen
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