Der Untergang des Abendlandes
in jeder anderen Sprachart ganz unmöglich ist und die mit der Vollendung der Wortsprache die Lebensgewohnheiten ganzer Menschenklassen kennzeichnet. Wenn mit der Ablösung einer starren entseelten Sprache vom Sprechen die Wahrheit im Gesprochenen unvereinbar wird, so gilt das in verhängnisvollem Maße vom Zeichensystem der Worte. Das abgezogene Denken besteht im Gebrauch eines endlichen Wortgefüges, in dessen Schema der unendliche Gehalt des Lebens gepreßt wird. Begriffe töten das Dasein und fälschen das Wachsein. Einst, in der Frühzeit der Sprachgeschichte, als das Verstehen sich noch gegen das Empfinden zu behaupten suchte, war diese Mechanisierung bedeutungslos für das Leben. Jetzt ist der Mensch aus einem Wesen, das zuweilen dachte, ein denkendes Wesen geworden und das Ideal aller Gedankensysteme ist es, das Leben endgültig und vollständig der Herrschaft des Geistes zu unterwerfen. Das geschieht in der Theorie, indem nur Erkanntes als wirklich gilt und das Wirkliche als Schein und Sinnentrug gebrandmarkt wird. Das geschieht in der Praxis, indem die Stimme des Blutes durch allgemein ethische Grundsätze zum Schweigen verwiesen wird. [Ganz wahr ist allein die Technik, weil die Worte hier nur den Schlüssel zur Wirklichkeit bilden und die Sätze so lange abgeändert werden, bis sie nicht etwa »wahr«, sondern wirksam sind. Eine Hypothese erhebt nicht den Anspruch auf Richtigkeit, sondern auf Brauchbarkeit.]
Beide, Logik wie Ethik, sind Systeme absoluter und ewiger Wahrheiten vor dem Geist und beide sind eben damit Unwahrheiten vor der Geschichte. Im Reich der Gedanken mag das innere Auge noch so unbedingt über das äußere triumphieren; im Reiche der Tatsachen ist der Glaube an ewige Wahrheiten ein kleines und absurdes Schauspiel in einzelnen Menschenköpfen. Ein wahres Gedankensystem kann es gar nicht geben, weil kein Zeichen die Wirklichkeit ersetzt. Tiefe und ehrliche Denker sind immer zu dem Schlüsse gelangt, daß alles Erkennen von seiner eigenen Form im voraus bestimmt ist und nie erreichen kann, was man mit dem Wort meint, mit Ausnahme wiederum der Technik, in welcher die Begriffe Mittel und nicht Selbstzweck sind. Und diesem Ignorabimus entspricht die Einsicht aller echten Weisen, daß abstrakte Lebensgrundsätze sich nur als Redensarten einbürgern, unter deren täglichem Gebrauch das Leben so weiterströmt, wie es immer gewesen war. Die Rasse ist letzten Endes stärker als die Sprache, und deshalb besaßen unter allen großen Namen nur die Denker eine Wirkung auf das Leben, die Persönlichkeiten waren und nicht wandelnde Systeme.
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Die innere Geschichte der Wortsprachen zeigt demnach bis jetzt drei Stufen. Auf der ersten erscheinen innerhalb hochentwickelter, aber wortloser Mitteilungssprachen die ersten Namen als Größen eines neuartigen Verstehens. Die Welt erwacht
als Geheimnis
. Das religiöse Denken beginnt. Auf der zweiten wird nach und nach eine vollständige Mitteilungssprache in grammatische Werte umgesetzt Die Geste wird zum Satz und der Satz verwandelt die Namen in Worte. Der Satz wird zugleich die große Schule des Verstehens gegenüber dem Empfinden, und das immer feinere Bedeutungsgefühl für abstrakte Beziehungen im Satzmechanismus ruft einen überquellenden Reichtum von Flexionen hervor, die sich vor allem an Substantiv und Verb, das Raumwort und das Zeitwort, heften. Es erscheint die Blütezeit der Grammatik, für die man – mit großer Vorsicht –
vielleicht
die zwei Jahrtausende vor Beginn der ägyptischen und babylonischen Kultur ansetzen darf. Die dritte Stufe wird durch einen raschen Flexionsverfall und damit den Ersatz der Grammatik durch die Syntax bezeichnet. Die Durchgeistigung des menschlichen Wachseins ist so weit vorgeschritten, daß es der Versinnlichung durch Flexionen nicht mehr bedarf und sich statt durch eine bunte Wildnis von Wertformen durch kaum merkliche Andeutungen im knappsten Sprachgebrauch (Partikel,Wortstellung, Rhythmus) sicher und frei mitteilen kann. Am Sprechen in Worten ist das Verstehen zur Herrschaft über das Wachsein gelangt; heute ist es im Begriff, sich vom Zwange des sinnlich-sprachlichen Mechanismus zugunsten einer reinen Mechanik des Geistes zu befreien. Nicht die Sinne, die Geister treten in Fühlung.
In diese dritte Stufe der Sprachgeschichte, welche an sich im biologischen Weltbild [Vgl. Bd. II, S. 588.] verläuft und also
dem Menschen als Typus
zugehört, greift nun die Geschichte der hohen Kulturen ein, die mit einer ganz
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