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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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einzelnen
Kulturen und zählen zu deren tiefsten Symbolen. Aber es fehlt noch durchaus an einer umfassenden Schriftgeschichte, und zu einer Psychologie der Formen und Formverwandlungen ist nicht einmal der Versuch gemacht worden.
Die Schrift ist das große Symbol der Ferne
, also nicht nur der Weite, sondern auch und vor allem der Dauer, der Zukunft, des Willens zur Ewigkeit. Sprechen und Hören erfolgt nur in Nähe und Gegenwart; durch die Schrift redet man aber zu Menschen, die man nie gesehen hat oder die noch nicht geboren sind, und die Stimme eines Menschen wird noch Jahrhunderte nach seinem Tode gehört. Sie ist eins der ersten Kennzeichen
historischer
Begabung. Aber eben deshalb ist nichts für eine Kultur bezeichnender als ihr innerliches Verhältnis zur Schrift. Wenn wir vom Indogermanischen so wenig wissen, so liegt das daran, daß die beiden frühesten Kulturen, deren Menschen sich dieses Systems bedienten, die indische und die antike, infolge ihrer ahistorischen Veranlagung nicht nur keine eigene Schrift geschaffen, sondern selbst die fremden bis in die Spätzeit hinein abgelehnt haben. In der Tat ist die ganze Kunst der antiken Prosa unmittelbar für das Ohr geschaffen. Man las vor, als ob man redete; wir reden im Vergleich dazu alle »wie ein Buch« und sind deshalb, wegen des ewigen Schwankens zwischen Schriftbild und Wortklang, nie zu einem in attischem Sinne ausgebildeten Prosastil gelangt. Dagegen hat in der arabischen Kultur jede Religion ihre eigene Schrift entwickelt und auch bei einem Wechsel der Sprache behalten: die Dauer der heiligen Bücher und Lehren und die Schrift als Sinnbild der Dauer gehören zusammen. Die ältesten Zeugnisse der Buchstabenschrift liegen in südarabischen, zweifellos nach Sekten getrennten minäischen und sabäischen Schriftarten vor, die vielleicht bis ins 10. Jahrhundert v. Chr. hinaufreichen. Die Juden, Mandäer und Manichäer in Babylonien sprachen Ostaramäisch, hatten aber sämtlich eigene Schriften. Seit der Abbassidenzeit wird das Arabische herrschend, aber Christen und Juden schreiben es weiterhin mit eigener Schrift. Der Islam hat die arabische Schrift überall unter seinen Anhängern verbreitet, mochten sie semitische, mongolische, arische oder Negersprachen reden. [Lidzbarski, Sitz. Berl. Akad. (1916), S. 1218. Reiches Material bei M. Mieses, Die Gesetze der Schriftgeschichte (1919).] Mit der Gewohnheit des Schreibens entsteht überall der unvermeidliche Unterschied zwischen Schriftsprache und Umgangssprache. Die Schriftsprache bringt die Symbolik der Dauer auf den eigenen grammatischen Zustand in Anwendung, der nur langsam und widerwillig den Wandlungen der Umgangssprache nachgibt, die mithin stets einen jüngeren Zustand darstellt. Es gibt nicht eine hellenische κοινή, sondern zwei, [P. Kretschmer in Gercke-Norden, Einl. i. d. Altertumswissenschaft I, S. 551.] und der ungeheure Abstand des geschriebenen vom lebendigen Latein in der Kaiserzeit wird durch den Bau der frühromanischen Sprachen hinreichend bezeugt. Je älter eine Zivilisation, desto schroffer ist der Unterschied bis zu jenem Abstand, der heute zwischen dem Schriftchinesischen und dem Kuanchua, der Sprache der nordchinesischen Gebildeten, besteht. Das sind nicht mehr zwei Dialekte, sondern zwei einander ganz fremde Sprachen.
    Darin kommt aber bereits die Tatsache zum Ausdruck, daß die Schrift im höchsten Grade Standessache und zwar uraltes Vorrecht des Priestertums ist. Das Bauerntum ist geschichtslos
und also schriftlos
. Es besteht aber auch eine ausgesprochene Abneigung der Rasse gegen die Schrift. Dies scheint mir von höchster Bedeutung für die Graphologie zu sein: je mehr Rasse der Schreiber hat, desto souveräner behandelt er den ornamentalen Bau der Schriftzeichen und ersetzt ihn durch ganz persönliche Liniengebilde. Der Tabumensch allein hat beim Schreiben eine gewisse Achtung vor den Eigenformen der Zeichen und sucht sie unwillkürlich immer wieder hervorzubringen. Es ist der Unterschied des tätigen Menschen, der Geschichte macht, und des Gelehrten, der sie nur aufzeichnet, sie »verewigt«. Die Schrift ist in allen Kulturen im Besitz des Priestertums, dem Dichter und Gelehrte zuzurechnen sind. Der Adel verachtet das Schreiben. Er
läßt
schreiben. Diese Tätigkeit hatte von jeher etwas Geistiges und Geistliches. Zeitlose Wahrheiten werden es ganz nicht durch die Rede, sondern erst durch die Schrift. Es ist wieder der Gegensatz von Burg und Dom: Was soll hier dauern –

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