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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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noch. Das Persertum fiel in die Hände der iranischen Philologie. Weil die Awestatexte in einem arischen Dialekt nicht abgefaßt, aber verbreitet wurden, ist dies gewaltige Problem als Nebenaufgabe für Indologen betrachtet worden und verschwand damit völlig aus dem Gesichtskreis der christlichen Theologie. Für die Geschichte des talmudischen Judentums ist endlich, da die hebräische Philologie mit der alttestamentlichen Forschung
ein
Fach bildet, kein weiteres Fach abgegrenzt worden und es wurde deshalb in allen großen Religionsgeschichten, die ich kenne, die jede primitive Negerreligion – weil es eine Völkerkunde als Fach gibt – und jede indische Sekte in Betracht ziehen, vollständig
vergessen
. Das ist die gelehrte Vorbereitung der größten Aufgabe, welche der heutigen Geschichtsforschung gestellt ist.
2
    Die römische Welt der Kaiserzeit hat ihre Lage wohl geahnt. Die späten Schriftsteller sind voll von Klagen über die Entvölkerung und geistige Verödung Afrikas, Spaniens, Galliens und vor allem der antiken Stammgebiete, Italiens, und Griechenlands. Ausgenommen von diesem verzweifelten Umblick sind regelmäßig die Provinzen, welche zur magischen Welt gehören. Syrien besonders ist dicht bevölkert und blüht wie das parthische Mesopotamien dem Blute wie der Seele nach prachtvoll auf. Das Übergewicht des jungen Ostens ist jedem fühlbar und mußte endlich auch politisch zum Ausdruck kommen. Die revolutionären Kriege zwischen Marius und Sulla, Cäsar und Pompejus, Antonius und Oktavian sind von hier aus betrachtet ein Stück Vordergrundsgeschichte, hinter welcher immer deutlicher der Versuch einer Emanzipation dieses Ostens von dem geschichtslos werdenden Westen, einer erwachenden von einer Fellachenwelt hervortritt. Die Verlegung der Hauptstadt nach Byzanz war ein großes Symbol. Diokletian hatte Nikomedien gewählt, Cäsar an Alexandria oder Ilion gedacht; Antiochia wäre in jedem Falle richtiger gewesen. Aber dieser Akt vollzog sich drei Jahrhunderte zu spät: es waren die entscheidenden der magischen Frühzeit.
    Die Pseudomorphose beginnt mit Actium –
hier hätte Antonius siegen müssen
. Es war
nicht
der Entscheidungskampf zwischen Römertum und Hellenismus, der zum Austrag kam; der ist bei Cannä und Zama ausgefochten worden, von Hannibal, der das tragische Geschick hatte, in Wirklichkeit nicht für sein Land, sondern für das Hellenentum zu kämpfen. Bei Actium stand die ungeborene arabische Kultur gegen die greisenhafte antike Zivilisation. Es handelte sich um apollinischen oder magischen Geist, um
die
Götter oder
den
Gott, um Prinzipat oder Kalifat. Antonius' Sieg hätte die magische Seele befreit; seine Niederlage führte die starre Kaiserzeit über ihre Landschaft herauf. Der Ausgang würde den Folgen der Schlacht von Tours und Poitiers 732 vergleichbar sein, wenn dort die Araber gesiegt und »Frankistan« zu einem Kalifat des Nordostens gemacht hätten. Arabische Sprache, Religion und Gesellschaft wären in einer herrschenden Schicht heimisch geworden, Riesenstädte wie Granada und Kairuan wären an Loire und Rhein entstanden, das gotische Gefühl wäre gezwungen worden, sich in den längst erstarrten Formen von Moschee und Arabeske auszudrücken und statt der deutschen Mystik besäßen wir eine Art von Sufismus. Daß das Entsprechende in der arabischen Welt wirklich geschah, war die Folge davon, daß die syrisch-persische Bevölkerung keinen Karl Martell hervorgebracht hat, der mit Mithridates Brutus und Cassius oder Antonius und über sie hinaus Rom bekämpfte.
    Eine zweite Pseudomorphose liegt heute vor unseren Augen: das petrinische Rußland. Die russische Heldensage der Bylinenlieder erreicht ihren Gipfel in dem Kiewschen Sagenkreise vom Fürsten Wladimir (um 1000) und seiner Tafelrunde und dem Volkshelden Ilja von Murom. [Wollner, Untersuchungen über die Volksepik der Großrussen (1879).] Der ganze unermeßliche Unterschied zwischen der russischen und der faustischen Seele liegt schon zwischen diesen Gesängen und den »gleichzeitigen« der Artus-, Ermanarich- und Nibelungensagen der Wanderzeit in der Form des Hildebrand- und Walthariliedes. Die russische Merowingerzeit beginnt mit dem Sturz der Tartarenherrschaft durch Iwan III. (1480) und führt über die letzten Ruriks und die ersten Romanows bis auf Peter den Großen (1689–1725). Sie entspricht genau der Zeit von Chlodwig (481–511) bis zur Schlacht von Testry (687), mit welcher die Karolinger tatsächlich die Herrschaft

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