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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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gegen die Gesellschaft sozialethischer Natur; sein Haß gegen den Staat ist eine politische Theorie. Daher seine gewaltige Wirkung auf den Westen. Er gehört irgendwie zu Marx, Ibsen und Zola. Seine Werke sind nicht Evangelien, sondern späte, geistige Literatur. Dostojewski gehört zu niemand, wenn nicht zu den Aposteln des Urchristentums. Seine »Dämonen« waren in der russischen Intelligenz als konservativ verschrien. Aber Dostojewski sieht diese Konflikte gar nicht. Für ihn ist zwischen konservativ und revolutionär überhaupt kein Unterschied: beides ist westlich. Eine solche Seele sieht über alles Soziale hinweg. Die Dinge dieser Welt erscheinen ihr so unbedeutend, daß sie auf ihre Verbesserung keinen Wert legt. Keine echte Religion will die Welt der Tatsachen verbessern. Dostojewski wie jeder Urrusse bemerkt sie gar nicht; sie leben in einer zweiten, metaphysischen, die jenseits der ersten liegt. Was hat die Qual einer Seele mit dem Kommunismus zu tun? Eine Religion, die bei Sozialproblemen angelangt ist, hat aufgehört, Religion zu sein. Dostojewski aber lebt schon in der Wirklichkeit einer unmittelbar bevorstehenden religiösen Schöpfung. Sein Aljoscha ist dem Verständnis aller literarischen Kritik, auch der russischen, entzogen; sein Christus, den er immer schreiben wollte, wäre ein echtes Evangelium geworden wie jene des Urchristentums, die gänzlich außerhalb aller antiken und jüdischen Literaturformen stehen. Aber Tolstoi ist ein Meister des westlichen Romans – Anna Karenina wird von keinem zweiten auch nur entfernt erreicht –, ganz wie er auch in seinem Bauernkittel ein Mann der Gesellschaft ist.
    Anfang und Ende stoßen hier zusammen. Dostojewski ist ein Heiliger, Tolstoi ist nur ein Revolutionär. Von ihm allein, dem echten Nachfolger Peters, geht der Bolschewismus aus: nicht das Gegenteil, sondern die letzte Konsequenz des Petrinismus, die äußerste Herabwürdigung des Metaphysischen durch das Soziale und eben deshalb nur eine neue Form der Pseudomorphose. War die Gründung von Petersburg die erste Tat des Antichrist, so war die Vernichtung der von Petersburg aus gebildeten Gesellschaft durch sich selbst die zweite: so muß das Bauerntum es innerlich empfinden. Denn die Bolschewisten sind nicht das Volk, auch nicht ein Teil von ihm. Sie sind die tiefste Schicht der »Gesellschaft«, fremd, westlerisch wie sie, aber von ihr nicht anerkannt und deshalb vom Haß der Niedrigen erfüllt. Alles das ist großstädtisch und zivilisiert, das Sozialpolitische, der Fortschritt, die Intelligenz, die ganze russische Literatur, die erst romantisch und dann nationalökonomisch für Freiheiten und Verbesserungen schwärmt. Denn alle ihre »Leser« gehören zur Gesellschaft. Der echte Russe ist ein Jünger Dostojewskis, obwohl er ihn nicht liest, obwohl
und weil
er überhaupt nicht lesen kann. Er ist selbst ein Stück Dostojewski. Wären die Bolschewisten, die in Christus ihresgleichen, einen bloßen Sozialrevolutionär erblicken, geistig nicht so eng, sie würden in Dostojewski ihren eigentlichen Feind erkannt haben. Was dieser Revolution ihre Wucht gab, war nicht der Haß der Intelligenz. Es war das Volk, das
ohne Haß
, nur aus dem Trieb, sich von einer Krankheit zu heilen, die westlerische Welt durch ihren Abhub zerstörte und diesen selbst ihr nachsenden wird; das stadtlose Volk, das sich nach seiner eigenen Lebensform, seiner eigenen Religion, seiner eigenen künftigen Geschichte sehnt. Das Christentum Tolstois war ein Mißverständnis. Er sprach von Christus und meinte Marx. Dem Christentum Dostojewskis gehört das nächste Jahrtausend.
3
    Außerhalb der Pseudomorphose und um so kräftiger, je geringer die Macht antiken Geistes im Lande liegt, drängen alle Formen einer echten Ritterzeit hervor. Scholastik und Mystik, Lehnstreue, Minnesang, Kreuzzugsbegeisterung – das war alles in den ersten Jahrhunderten der arabischen Kultur vorhanden, man muß es nur zu finden wissen. Es gibt auch nach Septimius Severus noch dem Namen nach Legionen, aber sie sehen im Osten aus wie das Gefolge eines Herzogs; Beamte werden ernannt, aber eigentlich hat man einem Grafen ein Lehen übertragen; während der Cäsarentitel im Westen in die Hände von Häuptlingen fällt, verwandelt sich der Osten in ein frühes Kalifat, das mit dem Lehnsstaat der reifen Gotik die erstaunlichste Ähnlichkeit hat. Im Sassanidenreich, im Hauran, in Südarabien bricht eine echte Ritterzeit an. Ein König von Saba, Schamir Juharisch,

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