Der Untergang des Abendlandes
dieser Welt ist – nicht anerkannt. Unversöhnt stehen sich auch in der Auffassung des Rechts Dasein und Wachsein, Schicksal und Kausalität gegenüber. Zur priesterlichen und ideologischen Moral von gut und böse gehört der
moralische
Unterschied von Recht und Unrecht
; zur Rassemoral von gut und schlecht gehört der
Rangunterschied von Gebern und Empfängern des Rechts
. Ein abstraktes Ideal von Gerechtigkeit geht durch die Köpfe und Schriften aller Menschen, deren Geist edel und stark und deren Blut schwach ist, durch alle Religionen, durch alle Philosophien, aber die Tatsachenwelt der Geschichte kennt nur den
Erfolg
, der das Recht des Stärkeren zum Recht aller macht. Sie geht erbarmungslos über die Ideale hin, und wenn je ein Mensch oder Volk auf die Macht der Stunde verzichtet hat, um gerecht zu sein, so war ihm wohl der theoretische Ruhm in jener zweiten Welt der Gedanken und Wahrheiten gewiß, aber auch der Augenblick, wo er einer andern Lebensmacht erlag, die sich besser auf Wirklichkeiten verstand als er.
Solange eine geschichtliche Macht den ihr ein- und untergeordneten Einheiten so überlegen ist wie der Staat und Stand sehr oft den Familien und Berufsklassen oder das Familienhaupt den Kindern, ist ein gerechtes Recht
zwischen
den Schwächeren aus der allmächtigen Hand des Unbeteiligten möglich. Aber Stände fühlen selten und Staaten so gut wie nie eine Macht von diesem Range über sich, und zwischen ihnen gilt also mit unmittelbarer Gewalt das Recht des Stärkeren, wie es sich in einseitig festgesetzten Verträgen und mehr noch in deren Auslegung und Innehaltung durch den Sieger zeigt. Das unterscheidet
Innen- und Außenrechte
der geschichtlichen Lebenseinheiten. In jenen kommt der Wille eines Schiedsrichters zur Geltung, unparteiisch und gerecht zu sein, obwohl man sich sehr über den Grad von Unparteilichkeit täuscht, die selbst in den besten Gesetzbüchern der Geschichte wirksam gewesen ist, auch in jenen, die sich bürgerlich nennen und damit schon andeuten, daß
ein Stand
sie kraft seiner Übermacht für alle geschaffen hat. [Deshalb verwerfen sie die Rechte von Adel und Geistlichkeit und verteidigen die von Geld und Geist, mit einer ausgesprochenen Parteinahme für den beweglichen gegenüber dem unbeweglichen Besitz.] Innenrechte sind das Ergebnis eines streng logisch-kausalen, auf Wahrheit gerichteten Denkens, aber eben deshalb bleibt ihre Geltung jederzeit abhängig von der materiellen Macht ihres Urhebers, sei er Stand oder Staat. Eine Revolution vernichtet mit dieser Macht sofort auch die Macht der Gesetze. Sie bleiben wahr, aber sie sind nicht mehr wirklich. Außenrechte wie alle Friedensverträge aber sind dem Wesen nach nie wahr und stets wirklich – wirklich oft im erschreckenden Sinne – und erheben gar nicht den Anspruch, gerecht zu sein. Es genügt, daß sie wirksam sind. Aus ihnen spricht das
Leben
, das keine kausale und moralische Logik besitzt, aber eine um so folgerichtigere organische. Es will
selbst
Geltung besitzen; es fühlt mit innerlicher Gewißheit, was es dazu braucht, und im Hinblick darauf weiß es, was
ihm
recht ist und für andere deshalb recht zu sein hat. Diese Logik erscheint in jeder Familie, namentlich in den alten rasseechten Bauerngeschlechtern, sobald die Autorität erschüttert ist und ein anderer als das Oberhaupt bestimmen will, »was ist«. Sie erscheint in jedem Staate, sobald eine einzelne Partei die Lage beherrscht. Jede Feudalzeit ist erfüllt von dem Kampf zwischen Lehnsherrn und Vasallen um das »Recht auf das Recht«. Dieser Kampf endet in der Antike fast überall mit dem unbedingten Sieg des ersten Standes, der dem Königtum die Gesetzgebung entzieht und es selbst zum Objekt der eigenen Rechtsetzung macht, wie Ursprung und Bedeutung der Archonten in Athen und der Ephoren in Sparta mit Sicherheit beweisen, auf abendländischem Boden aber
vorübergehend
auch in Frankreich mit der Einsetzung der Generalstände (1302) und
für immer
in England, wo die normannischen Barone und der hohe Klerus 1215 die Magna Charta erzwangen, aus welcher die tatsächliche Souveränität des Parlaments hervorgegangen ist. Aus diesem Grunde ist das alte normannische Standesrecht hier dauernd in Geltung geblieben. Dagegen war es die Verteidigung der schwachen kaiserlichen Gewalt in Deutschland gegen die Ansprüche der großen Lehnsträger, die das justinianische römische Recht als das Recht einer unbedingten Zentralgewalt gegen die frühdeutschen Landrechte zu
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