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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Kriegerschaft, die tiefinnerlich gefühlte Gemeinschaft der Wehrfähigen. Staat ist eine Männersache, ist Sorge um die Erhaltung des Ganzen, auch um jene seelische Selbsterhaltung, die man als Ehre und Selbstachtung bezeichnet, ist Vereitelung von Angriffen, Voraussicht von Gefahren und vor allem der eigne Angriff, der jedem im Aufstieg begriffenen Leben natürlich und selbstverständlich ist.
    Wäre alles Leben
ein
gleichförmiger Daseinsstrom, so würden wir die Worte Volk, Staat, Krieg, Politik, Verfassung nicht kennen. Aber das ewige und gewaltige
Verschiedensein
des Lebens, das durch die Gestaltungskraft der Kulturen bis aufs Äußerste gesteigert wird, ist eine Tatsache, die mit all ihren Folgen geschichtlich schlechthin gegeben ist. Pflanzenleben gibt es nur in bezug auf tierisches; die beiden Urstände bedingen sich gegenseitig;
ebenso ist ein Volk nur wirklich in bezug auf andre Völker
, und diese Wirklichkeit besteht in natürlichen und unaufhebbaren Gegensätzen, in Angriff und Abwehr, Feindschaft und Krieg. Der Krieg ist der Schöpfer aller großen Dinge. Alles Bedeutende im Strom des Lebens ist durch Sieg und Niederlage entstanden.
    Ein Volk gestaltet Geschichte, soweit es sich in Verfassung befindet. Es erlebt eine innere Geschichte, die es in diesen Zustand versetzt, in dem allein es schöpferisch
wird
, und eine äußere Geschichte, die in Schöpfung
besteht
. Die Völker als Staaten sind deshalb die eigentlichen Mächte alles menschlichen Geschehens. Es gibt in der Welt als Geschichte nichts über ihnen. Sie
sind
das Schicksal.
    Res publica
, das öffentliche Leben, die »Schwertseite« menschlicher Daseinsströme, ist in Wirklichkeit unsichtbar. Der Fremde sieht nur die Menschen, nicht ihren innern Zusammenhang. Dieser ruht vielmehr tief im Strome des Lebens und wird dort mehr gefühlt als verstanden. Ebenso
sehen
wir in Wirklichkeit nicht die Familie, sondern nur einige Menschen, deren Zusammenhalt in einem ganz bestimmten Sinne wir aus innerer Erfahrung kennen und begreifen. Aber es gibt für jedes dieser Gebilde einen Kreis von Zugehörigen, die durch gleiche Verfassung des äußeren und inneren Seins zur Lebenseinheit verbunden sind. Diese Form, in welcher das Dasein dahinströmt, heißt
Sitte
, wenn sie unwillkürlich aus dessen Takt und Gang entsteht und dann erst ins Bewußtsein tritt,
Recht
, wenn sie
mit Absicht gesetzt
und zur
Anerkennung
gebracht wird. Recht ist die
gewollte
Form des Daseins, gleichviel ob sie gefühlsmäßig und triebhaft anerkannt – ungeschriebenes Recht, Gewohnheitsrecht,
equity
– oder durch Nachdenken abgezogen, vertieft und in ein System gebracht worden ist –
Gesetz
. Das sind zweierlei Rechtstatsachen von zeithafter Symbolik, zwei Arten von Sorge, Vorsorge, Fürsorge, aber schon aus dem Gradunterschied der Bewußtheit in ihnen ergibt sich, daß im ganzen Verlauf wirklicher Geschichte sich zwei Rechte feindlich gegenüberstehen müssen: das Recht der Väter, der Tradition, das verbriefte, ererbte, gewachsene, bewährte Recht, das heilig ist, weil es von je war, aus Erfahrung des Blutes stammend und deshalb den Erfolg verbürgend, und das erdachte, entworfene Vernunft-, Natur- und allgemeine Menschenrecht, aus Nachdenken hervorgegangen und deshalb der Mathematik verwandt, vielleicht nicht erfolgreich, aber »gerecht«. In ihnen beiden reift der Gegensatz von Landleben und Stadtleben, Lebenserfahrung und gelehrter Erfahrung bis zu jener revolutionären Höhe der Erbitterung, wo man sich ein Recht nimmt, das nicht gegeben wird, und eins zertrümmert, das nicht weichen will.
    Ein Recht, das von einer Gemeinschaft gesetzt ist, bedeutet eine Pflicht für jeden Zugehörigen, aber es ist kein Beweis für dessen
Macht
. Vielmehr ist es eine Schicksalsfrage, wer es setzt und für wen es gesetzt
wird
. Es gibt Subjekte und Objekte der Recht
setzung
, obwohl ein jeder Objekt der Rechts
geltung
ist, und zwar gilt das ohne Unterschied vom inneren Recht der Familien, Zünfte, Stände und Staaten. Für den Staat als das höchste in der geschichtlichen Wirklichkeit vorhandene Rechtssubjekt tritt aber noch ein Außenrecht hinzu, das er dem Fremden feindlich auferlegt. Zu jenem gehört das bürgerliche Recht, zu diesem der Friedensvertrag. In jedem Falle aber ist das Recht des Stärkeren auch das des Schwächeren. Recht haben ist ein Ausdruck von Macht. Das ist eine geschichtliche Tatsache, die jeder Augenblick bestätigt, aber sie wird im Reiche der Wahrheit – das
nicht
von

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