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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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altadligen etruskischen drei Geschlechtertribus durch vier städtische Tribus (Bezirke) ersetzt hat, was manches Weitere erraten läßt, als reine Bauernbefreiung angesehen [ K. J. Neumann, Die Grundherrschaft der römischen Republik (1900); Ed. Meyer, Kl. Schriften, S. 351 ff.] oder auch als Organisation der Kaufmannschaft. [A. Rosenberg, Studien zur Entstehung der Plebs, Herm. XLVIII, 1913, S. 359 ff.] Aber die Plebs ist als dritter Stand, als Rest, nur negativ zu bestimmen: alles was
nicht
Grundadel oder Inhaber der großen Priesterämter ist, gehört dazu. Das Bild ist ebenso bunt wie das des
tiers
von 1789. Nur der Protest hält sie zusammen. Es gab Kaufleute, Handwerker, Lohnarbeiter, Schreiber darunter. Das Geschlecht der Claudier enthielt patrizische
und
plebejische, also grundherrliche und großbäuerliche Familien (wie die Claudii Marcelli). Innerhalb des Stadtstaates ist die Plebs, was in einem abendländischen Staate des Barock
Bauern und Bürger zusammen
sind, wenn sie gegen fürstliche Allgewalt in einer Ständeversammlung protestieren. Außerhalb der Politik, nämlich gesellschaftlich, ist die Plebs im Unterschied von Adel und Priestertum überhaupt nicht vorhanden, sondern zerfällt sofort in die Sonderberufe von ganz verschiedenen Interessen. Sie ist
Partei
und vertritt als solche die Freiheit im städtischen Sinne. Das wird noch deutlicher durch den Erfolg, den der Grundadel gleich darauf errungen hat, indem er sechzehn ländliche, nach Geschlechtern benannte Tribus, in denen er das unbedingte Übergewicht besaß, den vier städtischen hinzufügte, die das eigentliche Bürgertum, Geld und Geist, vertreten. Erst in dem großen Ständekampf während der Samnitenkriege, zur Zeit Alexanders, der ganz der französischen Revolution entspricht und 287 mit der Lex Hortensia endete, wurde der Standesbegriff rechtlich aufgehoben und die Geschichte der ständischen Symbolik abgeschlossen.
Die Plebs wird zum Populus Romanus
in demselben Sinne, wie sich 1789 der
tiers
als Nation konstituierte. Was in allen Kulturen von da an unter dem Bilde sozialer Kämpfe vor sich geht, ist etwas grundsätzlich anderes.
    Der Adel aller Frühzeiten war
der
Stand im ursprünglichsten Sinne gewesen, die fleischgewordene Geschichte, die Rasse in höchster Potenz. Das Priestertum trat als Gegen-Stand neben ihn, überall Nein sagend, wo der Adel bejahte, und damit die andere Seite des Lebens durch ein großes Sinnbild zur Schau stellend.
    Der dritte Stand, innerlich ohne alle Einheit, wie wir sahen, war der NichtStand, der Protest in ständischer Form gegen das Ständewesen, und zwar nicht gegen diese oder jene, sondern gegen die sinnbildliche Form des Lebens überhaupt. Er verwirft alle Unterschiede, die von der Vernunft und durch den Nutzen nicht gerechtfertigt sind, aber trotzdem »bedeutet« er selbst etwas, und zwar mit voller Deutlichkeit: er ist
das städtische Leben als Stand
dem ländlichen entgegengesetzt; er ist
die Freiheit als Stand
gegenüber der Verbundenheit. Aber er ist von sich selbst aus betrachtet keineswegs der Rest, wie es von den Urständen aus erscheint. Das Bürgertum hat Grenzen; es gehört zur Kultur; es umfaßt im besten Sinne alle ihre Zugehörigen, und zwar unter der Bezeichnung Volk,
populus, demos
, wobei Adel und Priestertum, Geld und Geist, Handwerk und Lohnarbeit als Einzelbestandteile ihm eingeordnet werden.
    Diesen Begriff findet die Zivilisation vor und vernichtet ihn durch den Begriff des vierten Standes, der
Masse
, der die Kultur mit ihren gewachsenen Formen grundsätzlich ablehnt. Es ist das absolut Formlose, das jede Art von Form, alle Rangunterschiede, den geordneten Besitz, das geordnete Wissen mit Haß verfolgt. Es ist das neue Nomadentum der Weltstädte, [Vgl. Bd. II, S. 676 ff.] für das die Sklaven und Barbaren in der Antike, der Tschudra in Indien, alles was Mensch ist, gleichmäßig ein flutendes Etwas bilden, das mit seinem Ursprung gänzlich zerfallen ist, seine Vergangenheit nicht anerkennt und eine Zukunft nicht besitzt. Damit wird der vierte Stand zum Ausdruck der Geschichte, die ins Geschichtslose übergeht. Die Masse ist das Ende, das radikale Nichts.
     

II. Staat und Geschichte
6
    Innerhalb der Welt als Geschichte, in die wir lebend verwoben sind, so daß unser Empfinden und Verstehen beständig dem Fühlen gehorcht, erscheinen die kosmischen Flutungen als das, was wir Wirklichkeit, wirkliches Leben nennen, Daseinsströme in leiblicher Gestalt. Man kann sie, die das

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