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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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Hilfe rief. [Vgl. Bd. II, S. 645 ff. Der entsprechende Versuch der absolutistisch gesinnten Stuarts, das römische Recht in England einzuführen, ist vor allem durch den puritanischen Juristen Coke ( † 1643) vereitelt worden, wieder ein Beweis dafür, daß der Geist eines Rechts immer Parteigeist ist.]
    Die Verfassung Drakons, die  θεσμοί thesmoi  der Oligarchen, wurde ebenso wie das streng patrizische Zwölftafelrecht vom Adel gegeben, [Vgl. Bd. II, S. 631 f.] schon tief in der antiken Spätzeit mit den voll entwickelten Mächten der Stadt und des Geldes, aber gegen sie gerichtet und deshalb sehr bald durch ein Recht des dritten Standes, der »andern« verdrängt – das des Solon und der Tribunen –, das nicht weniger Standesrecht war. Der Kampf zwischen den beiden Urständen um das Recht der Rechtsetzung hat die ganze Geschichte des Abendlandes erfüllt von dem frühgotischen Streit um den Vorrang des weltlichen oder des kanonischen Rechts bis zu dem noch heute nicht abgeschlossenen um die Zivilehe. [Vor allem auf dem Gebiet der Ehescheidung, für welche die staatliche und die kirchliche Auffassung unvermittelt nebeneinander gelten.] Die Verfassungskämpfe seit dem Ende des 18. Jahrhunderts bedeuten doch auch, daß der dritte Stand, der nach jener berühmten Bemerkung von Sieyès im Jahre 1789 »nichts war, aber alles sein konnte«, die Gesetzgebung im Namen aller an sich brachte und sie in genau demselben Sinne zu einer bürgerlichen gemacht hat, wie die der Gotik eine adlige gewesen war. Am unverhülltesten tritt, wie gesagt, das Recht als Ausdruck der Macht in den zwischenstaatlichen Rechtssetzungen hervor, in Friedensverträgen und in jenem Völkerrecht, von dem schon Mirabeau meinte, daß es das Recht der Mächtigen sei, dessen Innehaltung dem Machtlosen auferlegt werde. In Rechten von dieser Art wird ein großer Teil der welthistorischen Entscheidungen festgelegt. Sie sind die Verfassung, in welcher die kämpfende Geschichte fortschreitet, solange sie nicht zu der ursprünglichen Form des Kampfes mit Waffen zurückkehrt, dessen geistige Fortsetzung jeder geltende Vertrag in seinen beabsichtigten Wirkungen ist. Ist die Politik ein Krieg mit anderen Mitteln, so ist das »Recht auf das Recht« die Beute der siegreichen Partei.
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    Es ist demnach klar, daß auf den Höhen der Geschichte zwei große Lebensformen um den Vorrang kämpfen, Stand und Staat, beides Daseinsströme von großer innerer Form und sinnbildlicher
Kraft
, beide entschlossen, ihr eigenes Schicksal zum Schicksal des Ganzen zu machen. Das ist, wenn man es aus der Tiefe versteht und die alltägliche Auffassung von Volk, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ganz beiseite läßt, der Sinn des Gegensatzes von
sozialer und politischer Geschichtsleitung
. Erst mit dem Anbruch einer großen Kultur trennen sich soziale und politische Ideen, und zwar zuerst in der Erscheinung des ausgehenden Lehnsstaates, wo Herr und Vasall die soziale, Herrscher und Nation die politische Seite darstellen. Aber sowohl die frühen Sozialmächte: Adel und Priestertum, als die späten: Geld und Geist, und die in den heranwachsenden Städten zu einer gewaltigen Macht aufsteigenden Berufsgruppen der Handwerker, Beamten und Arbeiter wollen jeder für sich den Staatsgedanken dem eignen Standesideal oder häufiger dem Standesinteresse unterordnen, und so erhebt sich, von der nationalen Gesamtheit angefangen bis in das Bewußtsein jedes Einzelnen hinein, ein Kampf um die Grenzen und Ansprüche beider, dessen Ausgang im äußersten Falle die eine Größe vollkommen zum Werkzeug der andern macht. [Das sind die Formen des ohnmächtigen, englischen »Nachtwächterstaates« und des allmächtigen, preußischen »Kasernenstaates«, wie sie von Gegnern spöttisch und verständnislos genannt worden sind. Ähnlich gedachte Bezeichnungen finden sich auch in chinesischen und griechischen Staatstheorien: O. Franke, Studien zur Geschichte des konfuzianischen Dogmas (1920), S. 211 ff.; R. v. Pöhlmann, Geschichte der sozialen Frage und des Sozialismus in der antiken Welt (1912). Dagegen gehört der politische Geschmack z. B. Wilhelm v. Humboldts, der als Klassizist dem Staate das Individuum gegenüberstellt, überhaupt nicht in die politische, sondern in die Literaturgeschichte. Denn hier wird nicht die Lebensfähigkeit des Staates innerhalb der wirklich vorhandenen Staatenwelt ins Auge gefaßt, sondern das Privatdasein für sich ohne Rücksicht darauf, ob ein solches Ideal angesichts

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