Der Untergang des Abendlandes
Politik im Zeitalter der drei Punischen Kriege beherrscht hat, war staatsrechtlich gar nicht vorhanden. In jedem Falle aber ist der Staat auf eine Minderheit von staatsmännischem Instinkt angewiesen, welche den Rest der Nation im Kampf der Geschichte repräsentiert.
Deshalb muß die Tatsache unzweideutig ausgesprochen werden: es gibt
nur
Standesstaaten, Staaten, in denen ein einzelner Stand
regiert
. Man verwechsle das nicht mit dem Ständestaat, dem der einzelne nur vermöge seiner Zugehörigkeit zu einem Stande
angehört
. Das letzte ist der Fall in der älteren Polis, in den Normannenstaaten von England und Sizilien, aber auch in dem Frankreich der Verfassung von 1791 und in Sowjetrußland. Das erste bringt dagegen die allgemeine geschichtliche Erfahrung zum Ausdruck, daß es stets eine einzige soziale Schicht ist, von welcher, gleichviel ob verfassungsmäßig oder nicht, die politische Führung ausgeht. Es ist immer eine entschiedene Minderheit, welche die welthistorische Tendenz eines Staates vertritt, und innerhalb dieser wieder eine mehr oder weniger geschlossene Minderheit, welche die Leitung kraft ihrer Fähigkeiten tatsächlich, und oft genug im Widerspruch mit dem Geist der Verfassung in Händen hat. Und wenn man von revolutionären Zwischenzeiten und von cäsarischen Zuständen absieht, die als Ausnahme die Regel bestätigen, wo Einzelne und zufällige Gruppen die Macht lediglich mit materiellen Mitteln und oft ohne jede Begabung behaupten – so ist es die Minderheit
innerhalb eines Standes
, welche durch Tradition regiert, weitaus am meisten innerhalb des Adels, der als Gentry den parlamentarischen Stil Englands, als Nobilität die römische Politik im Zeitalter der Punischen Kriege, als Kaufmannsaristokratie die Diplomatie Venedigs, als jesuitisch geschulter Barockadel [Denn die hohen Kirchenwürden sind in diesen Jahrhunderten ausschließlich an den Adel Europas vergeben worden, der die politischen Eigenschaften seines Blutes in ihren Dienst stellte. Aus dieser
kirchlichen
Schule sind dann wieder Staatsmänner wie Richelieu, Mazarin und Talleyrand hervorgegangen.] die Diplomatie der römischen Kurie ausgebildet hat. Daneben erscheint die politische Begabung einer geschlossenen Minderheit im Priesterstand, eben in der römischen Kirche, aber auch in Ägypten und Indien und noch viel mehr in Byzanz und im Sassanidenreich; sehr selten dagegen im dritten Stand, der keine Lebenseinheit bildet, etwa in einer kaufmännisch gebildeten Schicht in der römischen Plebs des dritten Jahrhunderts, in juristisch gebildeten Kreisen in Frankreich seit 1789, hier und in allen anderen Fällen durch einen geschlossenen Kreis von gleichartiger praktischer Begabung gesichert, der sich beständig ergänzt und in seiner Mitte die volle Summe ungeschriebener politischer Tradition und Erfahrung bewahrt.
Das ist die Organisation
wirklicher
Staaten im Unterschied von den auf dem Papier und in den Köpfen von Schulfuchsern entstandenen. Es gibt keinen besten, wahren, gerechten Staat, der entworfen und irgendwann einmal verwirklicht werden könnte. Jeder in der Geschichte auftauchende Staat ist nur einmal da und ändert sich unbemerkt mit jedem Augenblick, auch unter der Kruste einer noch so starren gesetzlich festgelegten Verfassung. Deshalb bedeuten Worte wie Republik, Absolutismus, Demokratie in jedem einzelnen Falle etwas anderes und werden zur Phrase, sobald man sie als feststehende Begriffe anwendet, wie es unter Philosophen und Ideologen Regel ist. Eine Staatengeschichte ist Physiognomik und nicht Systematik. Sie hat nicht zu zeigen, wie »die Menschheit« allmählich zur Eroberung ihrer ewigen Rechte, zu Freiheit und Gleichheit und der Entwicklung des weisesten und gerechtesten Staates fortschreitet, sondern die in der Tatsachenwelt wirklich vorhandenen politischen Einheiten zu beschreiben, wie sie aufblühen, reifen und welken, ohne je etwas anderes zu sein als wirkliches Leben in Form. In diesem Sinne sei sie hier versucht.
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Die Geschichte großen Stils beginnt in jeder Kultur mit dem Lehnsstaat, der nicht Staat im kommenden Sinne ist, sondern die Ordnung des Gesamtlebens in bezug auf einen
Stand
. Das edelste Gewächs des Bodens, die Rasse im stolzesten Sinne, baut sich da eine Rangordnung auf, von der einfachen Ritterschaft bis zum
primus inter pares
, dem Lehnsherrn unter seinen Pairs. Das geschieht gleichzeitig mit der Architektur der großen Dome und Pyramiden: hier der Stein, dort das Blut zum Sinnbild
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