Der Untergang des Abendlandes
nahe, als der größte aller Päpste, Innocenz III. (1198 bis 1216), die Lehnshoheit der Welt für kurze Zeit zur Tatsache machte. England wurde 1213 päpstliches Lehen, Aragonien, Leon, Portugal, Dänemark, Polen, Ungarn, Armenien, das eben begründete lateinische Kaisertum in Byzanz folgten, aber mit seinem Tode begann der Zerfall innerhalb der Kirche selbst, und zwar mit dem Streben der großen geistlichen Würdenträger, den durch die Investitur
auch zu ihrem
Lehnsherrn gewordenen Papst durch eine Standesvertretung zu beschränken. [Es darf nicht vergessen werden, daß der ungeheure Grundbesitz der Kirche Erblehen der Bistümer und Erzbistümer geworden war, die gar nicht daran dachten, dem Papst als Lehnsherrn Eingriffe zu gestatten.] Der Gedanke, daß ein allgemeines Konzil über dem Papst stehe, ist nicht religiösen Ursprungs, sondern zunächst aus dem Lehnsprinzip hervorgegangen. Seine Tendenz entspricht genau dem, was die englischen Großen durch die Magna Charta erreicht hatten. Auf den Konzilen von Konstanz (seit 1414) und Basel (seit 1431) ist zum letzten Male der Versuch gemacht worden, die Kirche nach ihrer weltlichen Seite hin in einen Lehnsverband der Geistlichkeit zu verwandeln, wodurch eine Kardinalsoligarchie Vertreterin des gesamten abendländischen Klerus an Stelle des römischen Adels geworden wäre. Aber der Lehnsgedanke war damals längst vor dem des Staates zurückgetreten, und so trugen die römischen Barone, die den Wahlkampf auf den engsten Kreis der Umgebung Roms beschränkten und eben damit dem Gewählten die unumschränkte Macht nach außen im Organismus der Kirche sicherten, den Sieg davon, nachdem das Kaisertum schon vorher ganz wie das ägyptische und chinesische ein ehrwürdiger Schatten geworden war.
Im Vergleich zu der ungeheuren Dynamik dieser Entscheidungen baut sich das antike Lehnswesen ganz langsam, statisch, fast geräuschlos ab, so daß es beinahe nur aus den Spuren dieses Überganges erkennbar wird. Im homerischen Epos, wie es heute vorliegt, hat jeder Ort seinen Basileus, der doch sicherlich einst Lehnsträger war, denn in der Gestalt Agamemnons scheint noch ein Zustand durch, in welchem ein Herrscher über weite Gebiete mit dem Gefolge seiner Pairs zu Felde zog. Aber hier erfolgt die Auflöung der Lehnsgewalt im Zusammenhang mit der Ausbildung des Stadtstaates, des politischen Punktes. Das hat zur Folge, daß die höfischen Erbämter, die
archai
und
timai
wie die Prytanen, Archonten, vielleicht der urrömische Prätor, [Nach dem Sturz der Tyrannis um 500 führen die beiden Regenten des römischen Patriziats die Titel Prätor oder Judex, aber eben deshalb scheint es mir wahrscheinlich, daß sie über die Tyrannis und die ihr vorausliegende Zeit einer Oligarchie bis in das echte Königtum hinaufragen und als Hofämter denselben Ursprung haben wie der Herzog {
prae-itor
, Heerwart, in Athen Polemarch) und Graf (Dinggraf, Erbrichter, in Athen Archon). Die Bezeichnung Konsul (seit 366) ist sprachlich ganz archaisch und bedeutet also keine Neuschöpfung sondern die Wiederbelebung eines Titels (Rat des Königs?), der vielleicht aus oligarchischen Stimmungen lange verpönt gewesen war.] sämtlich städtischer Natur sind, und die großen Geschlechter also nicht einzeln in ihren Grafschaften heranwachsen wie in Ägypten, China und im Abendland, sondern in engster Fühlung innerhalb der Stadt, wo sie die Rechte des Königtums eins nach dem andern in ihren Besitz bringen, bis das Herrscherhaus allein übrig behält, was man ihm mit Rücksicht auf die Götter nicht nehmen konnte: den Titel, den es bei Opferhandlungen führt. So ist der
rex sacrorum
entstanden. In den jüngeren Teilen des Epos (seit 800) sind es die Adligen, welche den König zur Sitzung laden, ihn sogar absetzen. Die Odyssee kennt das Königtum eigentlich nur noch, weil es zur Sage gehört. In der wirklichen Handlung ist Ithaka eine von Oligarchen beherrschte Stadt. [Beloch, Griechische Geschichte I, 1, S. 214 ff.] Die Spartiaten sind ebenso wie das in den Kuriatkomitien tagende römische Patriziat aus einem Lehnsverhältnis hervorgegangen. [Die Spartiaten brachten in der besten Zeit des 6. Jahrhunderts etwa 4000 wehrfähige Männer auf gegenüber einer Gesamtbevölkerung von fast 300000 Heloten und Periöken (Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. III, § 264); etwa ebenso stark werden auch die römischen Geschlechter damals der Klientel und den Latinern gegenüber gewesen sein.] In den Phiditien erscheint noch ein Rest der
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