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Der Untergang des Abendlandes

Der Untergang des Abendlandes

Titel: Der Untergang des Abendlandes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oswald Spengler
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finanztechnischen Methoden und Bezeichnungen in die lombardische Kaufmannschaft und von da in alle Handelsstädte und Verwaltungen des Abendlandes gedrungen.
    Aber Aufschwung und Abbau des Lehnswesens liegen dicht nebeneinander. Inmitten der blühenden Vollkraft der Urstände regen sich die künftigen Nationen und damit die eigentliche Staatsidee. Der Gegensatz zwischen adliger und geistlicher Gewalt und zwischen der Krone und ihren Vasallen wird immer wieder durch den von deutschem und französischem Volkstum (schon unter Otto dem Großen) unterbrochen, oder von deutschem und italienischem, der die Stände in Guelfen und Ghibellinen zerriß und das deutsche Kaisertum vernichtete, und von englischem und französischem, der zur englischen Herrschaft über Westfrankreich geführt hat. Indessen tritt das weit zurück hinter den großen Entscheidungen innerhalb des Lehnsstaates selbst, der den Begriff der Nation nicht kennt. England war in 60215 Lehen zerlegt worden, die in dem noch heute zuweilen nachgeschlagenen Domesday Book von 1084 verzeichnet wurden, und die straff organisierte Zentralgewalt ließ sich auch von den Untervasallen der Pairs den Treueid schwören, aber trotzdem wurde schon 1215 die Magna Charta durchgesetzt, welche die tatsächliche Gewalt vom König auf das Parlament der Vasallen überträgt – die Großen und die Kirche im Oberhaus, die Vertreter der Gentry und der Patrizier im Unterhaus vereinigt –, das von nun an Träger der
nationalen
Entwicklung geworden ist. In Frankreich erzwangen die Barone in Verbindung mit dem Klerus und den Städten 1302 die Berufung der Generalstände; durch das Generalprivilegium von Saragossa 1283 wurde Aragonien fast eine von den Cortes regierte Adelsrepublik, und in Deutschland machte einige Jahrzehnte vorher eine Gruppe großer Vasallen als Kurfürsten das Königtum von ihrer Wahl abhängig.
    Den gewaltigsten Ausdruck nicht nur in der abendländischen Kultur, sondern in allen Kulturen überhaupt hat der Lehnsgedanke in dem Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum gefunden, dem als letztes Ziel die Verwandlung der ganzen Welt in einen ungeheuren Lehnsverband vorschwebte, und beide Mächte haben sich mit dem Ideal so tief verschwistert, daß sie mit dem Verfall des Lehnswesens zugleich von ihrer Höhe jäh herabstürzten.
    Die Idee eines Herrschers, dessen Machtbereich die ganze geschichtliche Welt, dessen Schicksal das der ganzen Menschheit ist, trat bis jetzt dreimal in Erscheinung, zuerst in der Auffassung des Pharao als des Horus, [Vgl. Bd. II, S. 900.] dann in der gewaltigen chinesischen Vorstellung vom Herrscher der Mitte, dessen Reich
tien-hia
ist, alles unter dem Himmel Liegende, [»Für den Herrscher der Mitte gibt es kein Ausland« (Kung-yang). »Der Himmel spricht nicht; er läßt durch einen Menschen seine Gedanken verkünden« (Tung Tschung-schu). Seine Verfehlungen wirken durch den ganzen Kosmos hindurch und führen zu Erschütterungen in der Natur (O. Franke, Zur Geschichte des konfuzianischen Dogmas, 1920, S.212 ff., 244 f.). Dem antiken und indischen Staatsdenken liegt dieser mystisch-universale Zug gänzlich fern.] endlich in frühgotischer Zeit, als Otto d. Gr. 962 aus einem tiefen mystischen Gefühl und Sehnen nach geschichtlicher und räumlicher Unendlichkeit, das damals durch alle Welt ging, den Gedanken eines Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation empfing. Aber vorher schon hatte Papst Nikolaus I. (860), noch ganz in augustinischen, also magischen Gedanken befangen, von einem päpstlichen Gottesstaat geträumt, der über den Fürsten dieser Welt stehen sollte, und seit 1059 ging Gregor VII. mit der vollen Urgewalt seiner faustischen Natur daran, eine päpstliche Weltherrschaft in den Formen eines universalen Lehnsverbandes mit Königen als Vasallen zu verwirklichen. Das Papsttum selbst bildete zwar nach innen den kleinen Lehnsstaat der Campagna, deren Adelsgeschlechter die Wahl beherrschten und die sehr bald auch das 1059 mit der Papstwahl betraute Kardinalskollegium in eine Art Adelsoligarchie verwandelten. Nach außen aber hat Gregor VII. die Lehnshoheit über die Normannenstaaten in England und Sizilien
erreicht
, die beide mit seiner Unterstützung begründet wurden, und die Kaiserkrone vergab er wirklich, wie vorher Otto der Große die Tiara. Aber dem Staufen Heinrich VI. gelang wenige Jahre später das Gegenteil; selbst Richard Löwenherz leistete ihm den Vasalleneid für England, und das allgemeine Kaisertum war der Verwirklichung

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