Der Untergang des Abendlandes
und Frieden auf Erden erschallt, ist in dem Grade notwendig, als Hintergrund und Widerhall eines großartigen Geschehens, daß man es auch dort noch annehmen muß, wo nichts davon überliefert ist wie im Ägypten der Hyksoszeit, in Bagdad und Byzanz. Man mag den Wunsch einschätzen, wie man will, aber man sollte den Mut haben, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Das zeichnet den Menschen von Rasse aus, durch dessen Dasein allein es Geschichte gibt. Das Leben ist hart, wenn es groß sein soll. Es läßt nur die Wahl zwischen Sieg und Niederlage, nicht zwischen Krieg und Frieden, und die Opfer des Sieges gehören zum Siege. Denn es ist nichts als Literatur, geschriebene, gedachte, gelebte Literatur, die hier anklagend und eifernd neben den Ereignissen einhergeht. Es sind bloße Wahrheiten, die sich im Gedränge der Tatsachen verlieren. Die Geschichte hat nie geruht, von diesen Vorschlägen Kenntnis zu nehmen. In der chinesischen Welt hat Hiang-sui schon 535 v. Chr. eine Friedensliga zu stiften versucht. Zur Zeit der kämpfenden Staaten wird dem Imperialismus (lienheng) vor allem in den südlichen Ländern am Jangtse die Völkerbundsidee (hohtsung
)
[Vgl. die Bd. II, S. 1081 genannte Arbeit von Piton.] entgegengesetzt; sie war von Anfang an zum Tode verurteilt wie alles Halbe, das dem Ganzen in den Weg tritt, und verschwand schon vor dem Endsieg des Nordens. Aber beide wandten sich gegen den antipolitischen Geschmack der Taoisten, die in diesen furchtbaren Jahrhunderten eine geistige Selbstentwaffnung vornahmen und sich damit zum bloßen Material herabsetzten, das in den großen Entscheidungen von andern und für andre verbraucht wurde. Auch die römische Politik, so fern dem antiken Geiste sonst das Vorausdenken liegt, hat noch einmal versucht, die Welt in ein System gleichgeordneter Mächte zu bringen, das fernere Kriege zwecklos machen sollte: damals, als sie nach der Niederlage Hannibals auf die Einverleibung des Ostens verzichtete. Das Ergebnis war so trostlos, daß die Partei des jüngeren Scipio zum entschiedenen Imperialismus überging, um dem Chaos ein Ende zu machen, obwohl ihr Führer mit klarem Blick das Schicksal seiner Stadt voraussah, welche die antike Unfähigkeit, irgend etwas zu organisieren, im höchsten Grade besaß. Aber der Weg von Alexander zu Cäsar ist eindeutig und unvermeidlich, und die stärkste Nation jeder Kultur hat ihn gehen müssen, ob sie es wollte und wußte oder nicht.
Vor der Härte dieser Tatsachen gibt es keine Ausflucht. Die Friedenskonferenz im Haag von 1907 war das Vorspiel zum Weltkrieg, die in Washington von 1921 wird das Vorspiel neuer Kriege sein. Die Geschichte dieser Zeit ist nicht mehr ein geistreiches Spiel in guten Formen um ein Mehr oder Weniger, aus dem man sich jederzeit zurückziehen kann. Standhalten oder untergehen – ein drittes gibt es nicht. Die einzige Moral, welche die Logik der Dinge uns heute gestattet, ist die eines Bergsteigers auf steilem Grat. Ein Augenblick der Schwäche, und alles ist zu Ende. Aber alle »Philosophie« ist heute nichts als ein innerliches Abdanken und Sichgehenlassen und die feige Hoffnung, durch Mystik den Tatsachen zu entschlüpfen. Sie war zur Römerzeit nichts anderes. Tacitus erzählt, [Hist. III, 81.] wie der berühmte Musonius Rufus durch Vorträge über die Güter des Friedens und die Übel des Krieges auf die Legionen, die im Jahre 70 vor den Toren Roms standen, einzuwirken versuchte und ihren Schlägen kaum entging. Der Heerführer Avidius Cassius nannte den Kaiser Marc Aurel ein philosophisches altes Weib.
Was den Nationen des 20. Jahrhunderts an alter und großer Tradition erhalten bleibt, an historischem Geformtsein, an Erfahrung, die ins Blut gedrungen ist, erhebt sich damit zu einer Macht ohne gleichen. Die
schöpferische
Pietät oder, um es tiefer zu fassen, ein uralter Takt aus ferner Frühzeit, der im Wollen gestaltend weiterwirkt, haftet für uns nur an Formen, die älter sind als Napoleon und die Revolution, [Dazu gehört also auch die amerikanische Verfassung, und dies allein erklärt die merkwürdige Ehrfurcht, welche der Amerikaner für sie empfindet, auch wo er ihre Unzulänglichkeit klar erkennt.] die gewachsen und nicht entworfen sind. Jeder noch so bescheidene Rest davon, der sich im Dasein irgendeiner geschlossenen Minderheit erhält, wird bald genug zu unermeßlichem Werte steigen und geschichtliche Wirkungen hervorbringen, die im Augenblick noch niemand für möglich hält. Die Traditionen einer alten
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