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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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drehte den Kopf auf dem strohgefüllten Kissen und stellte fest, dass er allein war. Elena war
gegangen während er schlief, aber es konnte noch nicht lange her sein - er spürte noch ihren Geruch, hatte
noch ihren Geschmack auf den Lippen und konnte selbst noch einen Hauch ihrer Körperwärme auf dem
zerschlissenen Laken neben sich wahrnehmen.
Andrej verspürte ein tiefes Gefühl der Enttäuschung, obwohl ihm sein Verstand sagte, dass sie auf die
einzig vernünftige Art gehandelt hatte. Egal, wie vorsichtig sie sich hierher geschlichen hatte, und egal, ob
Laurus nun da war oder nicht, in einem hatte Elena zweifellos Recht: Dieses Lager war einfach zu klein,
um auf Dauer ein Geheimnis zu wahren.
Er versuchte, sich aufzusetzen, und es gelang ihm nur unter Mühen. Seine Glieder fühlten sich immer noch
bleischwer an, sein Herz pumpte immer noch schwer und unregelmäßig in seiner Brust, und sein ganzer
Körper war klebrig von eingetrocknetem, erkaltetem Schweiß. Andrej schloss die Augen und konzentrierte
sich für einen Moment darauf, sein Herz wieder in einem regelmäßigen Rhythmus schlagen zu lassen - es
gelang ihm, aber selbst diese kleine Anstrengung kostete ihn unerwartete Mühe - und versuchte zugleich,
sich an die zurückliegende Stunde zu erinnern. Aber diese Erinnerung war ungewohnt, so wie das Gefühl zwar wohltuender - aber doch vollkommener Erschöpfung und Mattigkeit. Sie hatten sich zweimal geliebt,
das erste Mal wild und schnell, sodass es schon nach wenigen Augenblicken vorbei gewesen war, das
zweite Mal dafür umso ausdauernder und zärtlicher. Und doch war es anders gewesen als mit jeder Frau
zuvor. Ja, sie war fantasievoll und durchaus nicht prüde gewesen - und doch hatte er schon aufregendere
Nächte erlebt, mit Frauen, die hundertmal schöner waren und die ihn ungleich mehr erregt hatten. Und
doch war die Zeit mit ihr mit nichts anderem zu vergleichen. Niemals zuvor hatte er die Umarmung einer
Frau als so weiblich empfunden, ihre Berührungen so wohltuend und beschützend auf eine Art, an der
nichts schmutziges oder verwerfliches war.
Und zugleich hatte er nie zuvor einen Körper als so begehrenswert empfunden, und vielleicht zum ersten
Mal begriff Andrej, warum Männer für eine Frau töten konnten, oder mehr riskierten und auch opferten
als nur ihr Leben.
Was er allerdings nicht begriff, war, warum er so erschöpft und müde war.
Vielleicht wurde er tatsächlich krank. Die Tatsache, dass er es noch nie gewesen war, bedeutete noch
lange nicht, dass er es nicht werden konnte. Bisher hatte er ganz selbstverständlich angenommen, dass
sein unheimlicher Metabolismus gar nicht in der Lage war, krank zu werden, so wenig wie er unter
normalen Umständen sterben konnte - aber es gab keinen Beweis dafür.
Vielleicht hatte er bisher einfach Glück gehabt, so, wie es ja auch viele Sterbliche gab, die Zeit ihres
Lebens niemals krank wurden.
Wenigstens waren die Kopfschmerzen, mit denen er aufgewacht war und die ihn fast den ganzen Tag über
begleitet hatten, nicht mehr da. Dafür fühlte er sich jetzt so müde, dass er auf der Bettkante langsam nach
vorne sank und um ein Haar im sitzen wieder eingeschlafen wäre. Und vermutlich hätte er dem Verlangen
auch nachgegeben, wäre nicht in diesem Moment die Tür aufgegangen und Elena hereingekommen. Sie
hatte sich in eine der schäbigen Decken gewickelt, die ihm als Bettstatt dienten, und das Haar hing ihr
noch immer zerzaust ins Gesicht. Als sie sah, dass er sich aufgesetzt hatte, wirkte sie für einen Moment
irritiert, als erblicke sie etwas, womit sie nicht gerechnet hatte. Dann aber zog sie die Tür hinter sich zu
und kam lächelnd näher. »Wo warst du?«, fragte Andrej.
»Es gibt Fragen, die man einem Weib nicht stellt«, antwortete Elena. Sie lachte leise. »Aber keine Angst.
Niemand hat mich gesehen. Dein guter Ruf ist nicht in Gefahr.« Andrej blinzelte.
»Sollte nicht ich derjenige sein, der das sagt? «
Elena drehte sich herum und ließ dabei die Decke von den Schultern gleiten. Sie fiel mit einem Geräusch
zu Boden, als wäre sie aus edelster Seide gewoben und nicht aus Stoff, der selbst für eine Zeltplane zu
grob war, und das Mondlicht, das durch die offen stehenden Fenster herein strömte, schien ihre Haut mit
flüssigem Silber zu überziehen. Für einen Moment wurde der Geruch ihres Haares so übermächtig, dass er
ihm fast die Sinne raubte, und er spürte, wie ihn ihr bloßer Anblick schon wieder zu erregen begann,
obwohl er sich noch immer so

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