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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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schwach fühlte, dass er nicht wusste, ob er überhaupt die Kraft gehabt
hätte, aufzustehen.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, sagte Elena: »Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Es ist
spät geworden.« Sie zwinkerte ihm zu. »Du hast mich länger aufgehalten, als ich erwartet habe.« Andrej
lauschte einen Moment lang nach draußen. Aus dem Lager drangen noch immer Musik und Gelächter
herein, aber längst nicht mehr so laut wie zuvor. Auch das war neu: Bisher hatte er nach dem Aufwachen
immer ganz genau sagen können, wie viel Zeit im Schlaf verstrichen war.
Jetzt konnte er es nicht einmal erraten.
»Ich werde noch einmal nach deinem Freund sehen«, sagte Elena, während sie sich nach ihrem Kleid
bückte. »Anka hat einen Trank für ihn gebraut, der das Fieber senkt und ihm hilft, schneller wieder zu
Kräften zu kommen. Aber ich bin nicht sicher, ob er ihn auch zu sich nimmt.«
»Ja, Abu Dun ist manchmal ziemlich stur«, murmelte Andrej zerstreut, denn er war vielmehr darauf
konzentriert, Elena dabei zuzusehen, wie sie sich ihr Kleid über den Kopf streifte. Selbst derart alltägliche
Handlungen waren bei ihr von einer solchen Eleganz und Anmut, dass ihn schauderte. Als sie sich zu ihm
herumdrehte und dabei einige Falten im Stoff glatt strich, streckte er den Arm aus und versuchte, sie an
sich zu ziehen.
Elena befreite sich aus seinem Griff und schlug ihm scherzhaft auf die Finger. »Ich habe gesagt, es wird
Zeit für mich, zu gehen.«
Ihre Augen funkelten spöttisch. »Bist du immer so unersättlich, oder warst du nur zu lange allein?«
»Vielleicht habe ich nur noch nie eine Frau wie dich getroffen«, antwortete er und versuchte diesmal, sie
mit beiden Armen sie zu sich hinabzuziehen.
Diesmal ließ sie es geschehen. Lachend warf sie sich auf ihn und küsste ihn flüchtig auf die Lippen,
stemmte aber dann die Hände gegen seine Brust und zog den Kopf zurück, als er aus diesem Kuss mehr
machen wollte als ein neckisches Spiel.
»Du bist ein miserabler Lügner, Andreas«, sagte sie. »Aber charmant.«
»Ich habe noch ganz andere Qualitäten«, antwortete er. Mit einem entschlossenen Ruck zog er sie wieder
zu sich, um sie gegen ihren Willen nun wirklich zu küssen.
Diesmal wehrte sich Elena nicht. Dafür biss sie ihn so kräftig in die Unterlippe, dass er sie mit einem
Schmerzensschrei losließ und sich überrascht aufrichtete. Elena glitt von ihm herunter und stand auf.
»He!«, protestierte er. »Das hat weh getan!«
»Das sollte es auch«, antwortete Elena lachend. »Stell dich nicht so an, großer Krieger. Wenn Laurus von
dem erfährt, was wir hier getan haben, dann wird er dir noch sehr viel mehr wehtun.«
Verwirrt fuhr sich Andrej mit dem Handrücken über den Mund. Die Unterlippe war aufgeplatzt und hatte
kurz geblutet, aber die Wunde begann sich schon wieder zu schließen, und er wollte nicht, dass Elena das
sah. Vermutlich reichte ihr menschliches Sehvermögen ohnehin nicht aus, um alle Details seines Gesichts
in dem hier herrschenden Zwielicht auszumachen, aber Andrej hatte gelernt, auch mit dem
Unwahrscheinlichen zu rechnen. So wischte er das Blut auf seinen Lippen nicht wirklich ab, sondern
verteilte es lediglich ein bisschen.
»Das wird dich lehren, nicht noch einmal die Tugend einer ehrenhaften Frau zu missachten«, sagte Elena
lachend. Sie trat einen weiteren Schritt von seinem Bett zurück, wie, um sich außer Reichweite zu bringen,
sah aber mit spöttischem Blick auf ihn hinab und betastete dann ihren Mund. Ein einzelner Tropfen von
Andrejs Blut glitzerte auf ihren Lippen wie eine rote Träne. Dich sie wischte ihn nicht fort. Sie leckte ihn
mit der Zungenspitze auf. Andrej erstarrte. Ein Schlag ins Gesicht hätte ihn kaum härter und unerwarteter
treffen können.
»Was … warum hast du das getan?«, murmelte er fassungslos.
Elena schwieg einen Moment, dann neigte sie den Kopf und sah ihn mit einem Ausdruck vollkommener
Verständnislosigkeit an.
»Was?«
»Das Blut«, murmelte Andrej. »Du hast… das Blut…«
Verständnislos hob Elena erneut die Fingerspitzen an ihre Lippen. Dann ließ sie den Arm mit einem
Achselzucken wieder sinken.
»Und? Glaubst du, nach den letzten beiden Stunden wäre mir noch irgend etwas an dir fremd?«
»Nein«, sagte Andrej betreten. Gleichzeitig schalt er sich einen Narren. Wieso reagierte er so hysterisch
auf etwas, das unter normalen Liebenden allerhöchstens ungewöhnlich, wenn nicht anrührend war, und
bei dem sich Elena mit Sicherheit nichts gedacht

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