Der Untergang
Wahrheit gesagt. Die Sonne stand im Zenit und tat ihr Möglichstes, um das Lager in
einen Backofen zu verwandeln. Die Luft zwischen den Zelten flirrte vor Hitze, und das Licht war so grell,
dass es ihm die Tränen in die Augen trieb. Immerhin half ihm die Bewegung, die Benommenheit
abzuschütteln. Er wandte sich zu Abu Dun um. »Rason hat also nach mir gefragt?«
Der Nubier hob die Schultern. »Vielleicht war es auch Bason«, meinte er. »Ich kann die beiden kaum
auseinander halten. Er sagt, ihr hättet eine Vereinbarung, und du wärst ihm noch was schuldig.«
»Stimmt«, knurrte Andrej. »Ich muss ihm noch die andere Hand brechen.«
Abu Dun blickte ihn fragend an, aber Andrej ignorierte ihn und ging los. Er wusste nicht, wo er nach
Bason suchen sollte, war aber ziemlich zuversichtlich, dass der Junge sich irgendwo in der Nähe der
Bühne herumtrieb. Abu Dun holte mit raschen Schritten zu ihm auf, und wieder stellte Andrej erstaunt
fest, wie gut sich der Nubier erholt zu haben schien. Seinen Bewegungen war nicht die mindeste Spur von
Schwäche anzusehen, die Wangen waren voll, die Augen strahlend - kurz, der ganze Kerl strotzte nur so
vor Kraft und Gesundheit.
Er war genau der Abu Dun, den er seit drei Jahren kannte, nicht der Mann, der binnen einer Woche zwei
Mal schwer verletzt worden war und soeben eine Nacht im Fieberwahn durchgestanden hatte. Und dann
fiel Andrej auf, dass selbst die kleinen Schrammen und größeren Wunden, die der Nubier davongetragen
hatte, fast vollkommen verheilt waren. Er wusste, Abu Dun hatte die Konstitution eines Ochsen und tat
Dinge mit einem Schulterzucken ab, die einen anderen Mann umgebracht hätten, aber er hatte noch nie
erlebt, dass der Schwarze sich so schnell erholte.
Der Gedanke entglitt ihm, bevor er ihn weiter verfolgen konnte, aber er nahm sich vor, Elena bei nächster
Gelegenheit nach der Zusammensetzung des Trankes zu fragen, den Anka gebraut hatte.
Sie fanden Bason nicht bei der Bühne, doch ein anderer Sinti sagte ihnen, dass er und sein Bruder in den
kleinen Forst gegangen wären, um Holz zu schlagen. Bei der Erwähnung des Waldstückchens jenseits des
Lagers fuhr Abu Dun fast unmerklich zusammen, und auch Andrej sah besorgt zu den Bäumen hin.
Nahezu gleichzeitig machten sie auf dem Absatz kehrt und stapften Richtung Wald davon. Andrej war
plötzlich froh, seine Waffe mitgenommen zu haben.
Das ungute Gefühl, das die Worte des Sinti in ihm geweckt hatten, wurde stärker, je mehr sie sich den
Bäumen näherten.
Andrej lauschte in das von Schatten erfüllte Dunkel hinein, und er nahm nichts wahr, was nicht da sein
sollte, aber das beruhigte ihn keineswegs. Auch bei Handmanns Mühle hatte er die Anwesenheit der
Dämonen erst gespürt, als es zu spät war.
Andrej schauderte, als ihm auffiel, dass er insgeheim das gleiche Wort für diese unheimlichen Kinder
benutzt hatte wie Pater Flock. Noch vor zwei Tagen hätte er diesen Gedanken als völlig lächerlich
abgetan, doch mittlerweile fragte er sich immer häufiger, ob es so etwas wie Dämonen und Teufel
tatsächlich gab.
Immerhin war er seinem eigenen Dämon schon begegnet; ein Dämon, der vielleicht nicht aus der Hölle
stammte, aber womöglich von einem Ort, der noch schlimmer war …
Seine Befürchtungen erwiesen sich jedoch als unbegründet.
Schon während sie sich dem Waldrand näherten, hörten sie Stimmen und das Splittern und Brechen von
Holz, dann ein helles Lachen, das Andrej als das Basons identifizierte.
Laut die Namen der beiden Sinti rufend, drangen sie ins Unterholz vor. Sie trafen die Brüder nur wenige
Schritte vom Waldrand entfernt an, wo Rason dabei war, mit einer Handaxt Äste von den Bäumen zu
schlagen, die sein Bruder sorgfältig aufschichtete. Der Stapel war allerdings schon jetzt so hoch, dass
selbst zwei Mann ihn unmöglich wegtragen konnten.
»Andrej, Abu Dun!« Rason wedelte aufgeregt mit der Axt umher. »Seid ihr gekommen, um uns zu
helfen?«
»Ihr seht nicht so aus, als ob ihr Hilfe bräuchtet«, antwortete Andrej. Er nickte Rason zu und warf dann
einen etwas längeren Blick auf dessen Bruder. Basons rechte Hand war so dick verbunden, dass sie fast
unförmig wirkte, aber er schien trotzdem keine Mühe zu haben, sie zu benutzen, wie Andrej erleichtert
feststellte.
»Ein paar zusätzliche Hände können nie schaden«, antwortete Bason fröhlich.
»Oder zwei«, fügte sein Bruder hinzu.
»Haltet ihr das für klug, ausgerechnet hier Feuerholz zu sammeln?«, wandte Abu Dun ein.
Rason blinzelte und
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