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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vielleicht unseren Untergang.«
»Du verstehst nicht«, sagte Andrej. »Selbst, wenn ich wollte, wir können nicht gehen. Als du gestern
Abend im Fieber dagelegen hast, sind Männer aus der Stadt gekommen. Sie haben es nicht direkt
ausgesprochen, aber ich denke, sie glauben, dass Laurus oder einer aus der Sippe für den Überfall auf
Pater Flock und die Mühle verantwortlich ist. Die Sinti dürfen diesen Ort nicht verlassen.«
»Mach’ dich nicht lächerlich, Andrej«, antwortete Abu Dun.
»Seit wann hat es dich je interessiert, was du darfst oder nicht?
Wer will uns daran hindern, auf unsere Pferde zu steigen und davon zureiten?«
»Niemand«, sagte Andrej. »Aber Laurus und seine Familie würden dafür bezahlen.«
»Und vor allem sein Weib, nicht wahr?« Andrej nickte. »Auch sie. Du hast Recht, Abu Dun. Es hat mich
nie geschert, wenn jemand für das bezahlen muss, was er selbst getan hat, auch wenn der Preis hoch war.
Aber es kümmert mich sehr wohl, wenn ein Unschuldiger diesen Preis bezahlen muss.«
»Wenn er unschuldig ist«, sagte Abu Dun. Andrej verzog das Gesicht. »Ja, sicher. Jetzt wirst du gleich
sagen, dass es Elena war, die das Rattenpack geschickt hat.«
»Und wenn?«, fragte Abu Dun.
Andrej musste sich beherrschen, um halbwegs ruhig zu antworten. »Du weißt ganz genau, wer es war. Du
hast sie gesehen.
Genau wie ich.«
»Ich weiß nicht, was ich gesehen habe«, sagte der Nubier. »Sie sahen aus wie Kinder, aber wer sie
wirklich waren …« Fast verzweifelt hob er die Hände. »Es ist, glaube ich, das erste Mal, dass ich einem
eurer Kirchenvertreter zustimme, aber vielleicht hatte dieser Flock ja Recht. Vielleicht sind es Dämonen.«
»Ich werde jedenfalls nicht davonlaufen«, beharrte Andrej.
»Und wenn ich dich darum bitte?«
Andrej war fassungslos. »Du bittest mich, vor einer Gefahr zu fliehen? Das ist das erste Mal, dass ich das
erlebe.«
»Es ist auch das erste Mal, dass ich dich so erlebe«, antwortete Abu Dun ernst. »Glaub mir, Andrej, was
immer wir hier finden werden, du bist ihm nicht gewachsen. Ich weiß, dass du nicht viel von meinen
Ahnungen hältst, aber ich bitte dich inständig, diesmal auf mich zu hören. Etwas Schreckliches wird
passieren, wenn wir hier bleiben.«
Das Schlimmste war, dass Andrej wusste, dass der Freund Recht hatte. Seit sie auf diese Sippe scheinbar
harmloser Zigeuner getroffen waren, hatte er mehr und mehr das Gefühl, auf einen Abgrund
zuzustraucheln. Ein Abgrund, der zwar noch zu weit entfernt war, um sein wahres Wesen schon zu
erkennen, dessen Sog er sich aber schon jetzt nicht mehr entziehen konnte. Und doch konnte er nicht
zurück.
Nicht jetzt, wo er vielleicht so dicht davor stand, die Antworten auf all die Fragen zu finden, die ihn Zeit
seines Lebens gequält hatten.
Und nicht jetzt, wo Elena vielleicht in großer Gefahr war.
»Nein«, sagte er ruhig, aber so bestimmt, dass Abu Dun verstehen musste, wie sinnlos es war, das
Gespräch fortzusetzen. »Vielleicht hast du sogar Recht. Ich verlange nicht, dass du hier bleibst. Nimm
dein Pferd und reite davon. Laurus wird nicht versuchen, dich aufzuhalten. Und ich werde schon eine
Erklärung für dein Verschwinden finden.«
»Du weißt, dass ich das nicht kann«, sagte Abu Dun.
»Aber du solltest es«, antwortete Andrej. »Ich meine es Ernst. Das hier geht allein mich etwas an. Ich
kann nicht verlangen, dass du dein Leben riskierst, nur weil ich ein paar Antworten suche.«
Der Nubier sah ihn lange traurig an, dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Dann lässt du mir keine
andere Wahl.« Mit diesen Worten drehte er sich um und ging davon. Gegen seine innere Überzeugung und
die immer lauter werdende Stimme ignorierend, die ihn warnte, es nicht zu tun, hatte Andrej Basons
Einladung schließlich doch angenommen und war ihm zum Wagen seiner Stiefeltern gefolgt, um mit
Elena, Laurus und den anderen zu essen. Bason hatte nicht übertrieben - seine Schwester und Stiefmutter
war tatsächlich eine ausgezeichnete Köchin - aber die Mahlzeit verlief trotzdem in einer angespannten
Atmosphäre. Laurus sprach nur wenig, und wenn, dann über unverfänglich allgemeine Themen, während
Bason und Rason herumalberten, und das auf einem Niveau, das nicht nur Andrej schnell auf die Nerven
ging. Elena indes sagte während der ganzen Mahlzeit nichts, abgesehen von der einen Gelegenheit, bei der
sie sich erkundigte, ob es schmeckte - doch sie nutzte jeden Vorwand, um Andrej anzusehen, und zwei
oder drei Mal lächelte sie ihn offen an

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