Der Untergang
immer, und die unvorsichtige Bewegung wurde sofort von einem leisen
Schwindelanfall geahndet, aber seine Kräfte kehrten jetzt rasch zurück. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er.
»Unsinn!« Elena schüttelte fast zornig den Kopf. »Du bist schwer ver-«
Sie stockte, und ihre Augen wurden groß. Aus dem Entsetzen in ihrem Blick wurde etwas anderes, als
Andrej das durchlöcherte Hemd aus der Hose zog und mit einem Ruck vollends zerriss, so dass die Haut
darunter zum Vorschein kam.
Seine Brust war unversehrt.
»Aber … aber wie … wie ist denn das …?«, stammelte sie.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Andrej noch einmal. Er fügte noch ein beruhigendes Lächeln hinzu, dann
stand er auf und drehte sich zu den Männern herum, die immer noch auf Abu Dun einprügelten und
-traten. »Aufhören!«, rief er. Zwei oder drei der Burschen ließen tatsächlich von ihrem wehrlosen Opfer
ab, aber die anderen - allen voran der grobschlächtige Kerl, mit dem Abu Dun zuvor sein grausames Spiel
getrieben hatte, droschen nur umso heftiger auf den Nubier ein. Erstaunlicherweise machte Abu Dun
keinen Versuch, sich zu wehren. Er hatte sich zu einem Ball zusammengerollt und versuchte lediglich, sein
Gesicht und die empfindlichsten Körperteile vor den schlimmsten Treffern zu schützen.
»Aufhören, habe ich gesagt!«, schrie Andrej noch einmal. Er wartete die Reaktion auf seine Worte gar
nicht ab, sondern trat mit einem Schritt an Elena vorbei, packte zwei der jungen Männer gleichzeitig am
Kragen und stieß sie grob davon. Ein dritter hielt in seinem Tun inne, wurde kreideweiß vor Schreck und
taumelte wie unter einem Schlag zurück, obwohl Andrej ihn nicht einmal berührt hatte. Nur der große
Bursche fuhr fort, mit beiden Fäusten auf Abu Dun einzudreschen. Andrej gestattete ihm noch einen
letzten Schlag, dann packte er ihn im Nacken und riss ihn grob zurück.
»Bist du taub, Kerl? Ich hab gesagt, es ist genug!«
Er wirbelte den Burschen herum und ließ ihn los, darauf gefasst, sich selbst eines Angriffes erwehren zu
müssen, aber der junge Mann starrte ihn nur aus hervorquellenden Augen an. Plötzlich schien alle Kraft
aus ihm zu weichen, und anstelle des rasenden Jähzorns, der bisher in seinen Augen gelodert hatte,
breitete sich fassungsloses Entsetzen darin aus.
»Beruhige dich«, sagte Andrej. »Es war nur ein Trick.«
Erst jetzt fiel ihm auf, dass es geradezu unheimlich still um sie herum geworden war. Die Schreie, das
Kreischen und die wütenden Rufe waren verstummt, selbst das Kind hatte aufgehört zu weinen. Er musste
sich nicht herumdrehen um zu wissen, dass sich alle Blicke auf ihn konzentrierten. Rasch kniete er neben
Abu Dun nieder.
»Alles in Ordnung?«, fragte er. Abu Dun nahm stöhnend den Arm herunter und drehte sich auf den
Rücken. Sein Gesicht war blutüberströmt und begann bereits anzuschwellen. Die Nase schien gebrochen,
und auch die Lippen waren aufgeplatzt und bluteten heftig. »Du hast ziemlich lange gebraucht«, knurrte
er.
»Eigentlich hätte ich sie gewähren lassen sollen«, zischte Andrej. »Was sollte das, du Idiot? Nenn mir
einen Grund, warum ich nicht zu Ende bringen soll, was die Menge begonnen hat.«
Langsam richtete er sich auf, drehte sich herum und ließ seinen Blick über die Gesichter der Menge unten
vor der Bühne schweifen. Was er sah, gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.
»Was … hat das zu bedeuten?«, murmelte Laurus irgendwo hinter ihm.
Andrej ignorierte ihn, trat an den Rand der Bühne und zog das blutdurchtränkte und zerrissene Hemd aus.
Mit bedächtigen Bewegungen knüllte er es zusammen und benutzte es dann, um sich das Blut vom Körper
zu wischen. Er ging dabei viel bedächtiger zu Werke als nötig, und als er fertig war, breitete er die Arme
aus und drehte sich langsam einmal um seine Achse. Auch, wenn er es bisher gar nicht für möglich
gehalten hätte - es wurde noch stiller. Jeder dort unten schien buchstäblich das Atmen vergessen zu haben.
»Ihr braucht keine Angst zu haben«, sagte er mit ruhiger, weit schallender Stimme. »Ich bin nicht verletzt.
Und was ihr gesehen habt, das war nur eine kleine Kostprobe der uralten Magie des Orients.« Einige
Sekunden lang blieb er völlig reglos stehen, dann verbeugte er sich tief, machte einen Schritt rückwärts
und deutete mit der linken Hand auf den Nubier, der sich unsicher neben ihm aufrichtete und deutlich
weniger würdevoll als Andrej den Ärmel seines Mantels dazu benutzte, um das Blut abzuwischen, das
noch immer aus
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