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Der Untergang

Der Untergang

Titel: Der Untergang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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vielleicht unversehrt hier heraus. Andrej widerstand der Versuchung, sich noch einmal
umzudrehen und zu den vier Kindern hinabzusehen. Wozu auch? Er wusste, dass sie noch dastanden und
mit vor Hass brennenden Augen zu ihnen heraufstarrten.
Er bedeutete Abu Dun, vorsichtig loszugehen, und der Nubier machte einen ersten, zögernden Schritt in
Richtung der offen stehenden Klappe, hinter der die Treppe nach unten führte.
Wider Erwarten versuchten die Tiere immer noch nicht, näher zu kommen, sondern sie schienen sogar
instinktiv vor Abu Dun zurückweichen zu wollen, nur konnten sie dies nicht, weil es dafür einfach keinen
Platz mehr gab.
Abu Dun machte einen zweiten Schritt und blieb wieder stehen. Er war jetzt nur noch ein winziges Stück
von der Treppe entfernt, aber zwischen ihm und der ersten Stufe wuselten gut zwei Dutzend Ratten
umeinander. Der Nubier zögerte, nahm dann aber allen Mut zusammen und machte einen weiteren Schritt.
Dabei hob er den Fuß nicht an, sondern schleifte ihn über den Boden und versuchte so, die Ratten
behutsam mit der Stiefelspitze zur Seite zu schieben. Einige der Tiere protestierten quiekend, andere
versuchten gar, nach seinem Fuß zu schnappen, aber es war kein Angriff, sondern lediglich ein Reflex auf
die Berührung.
Und dann, langsam, widerwillig, aber doch stetig, teilte sich die quirlige, braun-graue Masse, und Abu Dun
atmete erleichtert auf. Mit dem nächsten Schritt stand er auf der obersten Treppenstufe, dann auf der
nächsten, und die Ratten griffen noch immer nicht an.
»Komm!«, raunte der Nubier.
Die Aufforderung wäre nicht nötig gewesen. Andrej folgte ihm in zwei Schritten Abstand und ebenso
vorsichtig. Er konnte kaum noch atmen. Der Rattengestank war übermächtig, und er spürte die Mischung
aus Verwirrung, Angst und uralter unstillbarer Gier, die die Armee der geistlosen kleinen Räuber
ausstrahlte wie ein schleichendes Gift, das sich in seine Seele fraß und seine Gedanken verpestete. Und da
war noch etwas. Etwas, das ebenso böse und ebenso unstillbar war, aber das nicht hierher gehörte.
Trotzdem erreichte er die Treppe so unbehelligt wie Abu Dun vor ihm. Der Nubier hatte mittlerweile gut
die Hälfte der Stufen hinter sich gebracht, blieb dann jedoch plötzlich stehen und richtete sich erschrocken
auf, soweit die niedrige Decke über ihm dies zuließ.
Auch der Raum im Erdgeschoss war voller Ratten. Die schmutzig-graue Schicht aus festgetretenem Mehl
war unter einem zweiten, lebenden Boden verschwunden. Doch sie bedeckten nicht nur den Boden,
sondern wuselten über die Möbel, Fenstersimse und Deckenbalken und krochen hier und da in ihrer Not
sogar an den nackten Wänden empor, bevor sie den Halt verloren und wieder in die brodelnde Masse aus
graubraunen Körpern zurückstürzten. Kurzum: Der Weg zur Tür war ihnen versperrt.
Abu Dun warf Andrej einen, fragenden Blick zu, den dieser ebenso stumm beantwortete. Sie hatten keine
Wahl - sie mussten da durch. Vielleicht wiederholt sich das Wunder ja, dachte Andrej, und die Tiere
lassen uns auch jetzt unbehelligt passieren …
Das Wunder wiederholte sich nicht.
Zwar wichen auch hier die Tiere zunächst vor ihnen zurück und versuchten, eine Gasse zu bilden, aber
ihre Zahl war einfach zu groß.
Andrej, der Abu Dun in vier oder Stufen Abstand folgte, bot sich ein schauderhafter Anblick, als der
Nubier fast bis in Wadenhöhe in der wirbelnden, braun-grauen Masse verschwand, in der er sich quälend
langsam auf die Tür zu bewegte. Mehrere Ratten versuchten, an seinem Gewand empor zuklettern. Etliche
gaben es wieder auf oder verloren den Halt und fielen herunter, doch eines der Tiere schaffte es bis auf
seine Schulter und blieb dort hocken - aufgeregt schnüffelnd und aus kleinen, tückischen Augen gierig in
Abu Duns Antlitz starrend.
Erstaunlicherweise widerstand Abu Dun dem nur zu menschlichen Impuls, das Tier abzuschütteln, aber
Andrej konnte sehen, wie sich seine Haltung noch mehr verspannte. Der Nubier litt Todesangst.
Und auch ihm selbst erging es nicht anders, als er das Ende der Treppe erreichte. Wie Abu Dun versuchte
er - unendlich langsam, um die Tiere nicht durch eine überhastete Bewegung zum Angriff zu provozieren in Richtung Tür zu schlurfen, und wie dem Nubier vor ihm gelang es ihm, einen Teil des Weges
zurückzulegen. Auch an seinen Beinen kletterten Ratten empor, gruben sich Krallen in seine Hosenbeine
und sein Hemd, berührten bebende Barthaare seine Haut…
Ein Gefühl unbeschreiblichen Ekels ergriff von

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