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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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Buck ihr ein fabelhaftes Schnittmuster gegeben. Mit versteckten Püffen trieb jede ihn nach ihrer Seite; er gab ihnen abwechselnd recht, seine blassen Bartkotelettes flohen nach links und nach rechts, und er hatte Augen wie ein Hase. Die Vorübergehenden stießen einander an und wiederholten flüsternd als einen Witz, was Diederich durch Wolfgang Buck wußte. Angesichts so wichtiger Vorgänge vergaß er seine Leibschmerzen, blieb stehen und beschrieb einen herausfordernden Gruß. Der Bürgermeister gab sich Haltung, verließ seine Damen, er streckte Diederich die Hand hin. »Mein lieber Doktor Heßling, es freut mich, das ist einmal ein gelungenes Fest, wie?«
    Aber Diederich zeigte sich gar nicht geneigt, auf die nichtssagende Herzlichkeit einzugehen, die Doktor Scheffelweis so sehr liebte. Er richtete sich auf wie das Verhängnis und blitzte.
    »Herr Bürgermeister, ich fühle mich nicht berechtigt, Sie im unklaren zu lassen über gewisse Dinge, die —«
    »Die?« fragte Doktor Scheffelweis, erbleicht.
    »Die vorgehn«, sagte Diederich nicht ohne Härte. Der Bürgermeister bat um Erbarmen. »Ich weiß doch schon. Es ist die fatale Geschichte mit unserem allverehrten — ich wollte sagen, die Schweinerei des alten Buck«, flüsterte er vertraulich. Diederich blieb kalt.
    »Es ist mehr. Sie dürfen sich nicht länger täuschen, Herr Bürgermeister: es betrifft Sie selbst.«
    »Junger Mann, ich muß doch bitten...«
    »Ich stehe Ihnen zur Verfügung, Herr Bürgermeister!«
    Doktor Scheffelweis irrte, wenn er hoffte, dieser Kelch sei durch Aufbegehren besser abzuwenden als durch Flehen! Er war in Diederichs Hand; die Spiegelgalerie hatte sich geleert, auch die beiden Damen verschwanden dahinten im Gedränge.
    »Buck und Genossen führen einen Gegenschlag«, sagte Diederich sachlich. »Sie sind entlarvt und rächen sich.«
    »An mir?« Der Bürgermeister hüpfte auf.
    »Verleumdungen, ich wiederhole: infame Verleumdungen werden gegen Sie gerichtet. Kein Mensch würde sie glauben, aber in diesen Zeiten der politischen Kämpfe —«
    Er beendete nicht, sondern hob die Schultern. Doktor Scheffelweis war sichtlich kleiner geworden. Er wollte Diederich ansehen, irrte aber ab. Da bekam Diederich die Stimme des Gerichts.
    »Herr Bürgermeister! Sie erinnern sich an unsere erste Unterredung in ihrem Hause, mit Herrn Assessor Jadassohn. Ich habe Sie schon damals darauf vorbereitet, daß ein neuer Geist in die Stadt einziehen werde. Die schlappe demokratische Gesinnung hat abgewirtschaftet! Stramm national muß man heut sein! Sie waren gewarnt!«
    Doktor Scheffelweis stand Rede.
    »Ich war innerlich schon immer auf Ihrer Seite, lieber Freund: um so mehr, als ich ein besonderer Verehrer Seiner Majestät bin. Unser herrlicher junger Kaiser ist ein so origineller Denker... impulsiv... und...«
    »Die persönlichste Persönlichkeit«, ergänzte Diederich streng.
    Der Bürgermeister sprach nach: »Persönlichkeit... Aber ich in meiner Stellung, die nach beiden Seiten blickt, kann Ihnen auch heute nur wiederholen: Schaffen Sie neue Tatsachen!«
    »Und mein Prozeß? Ich habe die Feinde Seiner Majestät glatt zerschmettert!«
    »Ich habe Ihnen nichts in den Weg gelegt. Ich habe Sie sogar beglückwünscht.«
    »Mir nicht bekannt.«
    »Wenigstens im stillen.«
    »Heute muß man sich offen entscheiden, Herr Bürgermeister. Seine Majestät haben es selbst gesagt: Wer nicht für mich ist, ist wider mich! Unsere Bürger sollen endlich aus dem Schlummer erwachen und bei der Bekämpfung der umwälzenden Elemente selbst mit Hand anlegen!«
    Hier schlug Doktor Scheffelweis die Augen nieder. Um so gebieterischer reckte sich Diederich.
    »Wo aber bleibt der Bürgermeister?« fragte er, und seine Frage klang in einer drohenden Stille so lange nach, bis Doktor Scheffelweis sich entschloß, ihn anzublinzeln. Zum Sprechen brachte er es nicht; Diederichs Erscheinung, blitzend, gesträubt und blond gedunsen, verschlug ihm die Rede. In fliegender Verwirrung dachte er: ›Einerseits — andererseits‹ — und blinzelte immerfort das Bild der neuen Jugend an, die wußte, was sie wollte, den Vertreter der harten Zeit, die nun kam!
    Diederich, mit herabgezogenen Mundwinkeln, nahm die Huldigung entgegen. Er genoß einen der Augenblicke, in denen er mehr bedeutete als sich selbst und im Geiste eines Höheren handelte. Der Bürgermeister war länger als er, aber Diederich sah auf ihn hinunter, als hätte er gethront. »Nächstens haben wir

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