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Zweiherz

Titel: Zweiherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Vor langer Zeit
    D üster und unheimlich war der Anfang allen Seins. Finsternis wallte wie schwarzer Nebel, es war kühl und feucht. Die Erste Welt erschien als eine Insel unter Wolken. Sie barg den Ursprung allen Lebens. In ihr hausten übernatürliche Wesen, genannt diyin , die Wissenden Leute. Paare von Wolken berührten einander und daraus entstanden Erster Mann und Erste Frau.
    Auch Kojote gab es schon in dieser Schwarzen Welt, halb Mensch halb Tier. Zweiherz war sein Name, und man sagt, dass er schon länger lebt als alle übrigen Wesen.
    Getrieben von Unzufriedenheit und Zanksucht, waren die unsterblichen Wanderer gezwungen, nach einer neuen Heimat zu suchen. Sie stiegen auf und verließen die Schwarze Welt. Mit ihnen Erster Mann, Erste Frau und Zweiherz, der Kojote. Sie alle waren auf der Suche nach Licht und nach einem Ort, an dem sie existieren konnten.
    Doch in der Zweiten, der Blauen Welt, trafen sie auf gefährliche Säugetiere und Ungeheuer. Sie zankten untereinander pausenlos fort, verletzten Tabus und fielen in Ungnade. So mussten sie aufsteigen in die Dritte Welt.
    In der Gelben, der Dritten Welt, wurden die vier heiligen Berge der Navajo geschaffen, wie sie heute noch existieren. Doch Kojote stahl Wassermonster, dem Herrn der unwirtlichen Fluten, ein Kind und beschwor mit seiner Boshaftigkeit eine Flut herauf. Die Wissenden Leute - und mit ihnen Erster Mann und Erste Frau - mussten fliehen. Sie erreichten die Vierte, die Weiße Welt. Aber auch in dieser Welt stiftete Zweiherz Unheil unter den unsterblichen Lebewesen und trieb sie damit weiter. Vier unvollkommene Welten hatten sie durchwandert und stiegen nun in die Fünfte, die schillernde, sich ewig wandelnde Welt der Gegenwart.
    Dort angekommen mussten sie erkennen, dass auch diese Welt von Flut, Streit und Chaos beherrscht war. Erst als Kojote sich einsichtig zeigte und eine Zeit lang aufhörte, Unheil zu stiften, lichtete sich das Durcheinander. Die Gestirne, Tiere und Pflanzen wurden erschaffen. Die Zeit wurde unterteilt in Tag und Nacht; der Kreis eines Jahres in Frühling, Sommer, Herbst und Winter.
    Erster Mann und Erste Frau fanden ein Baby und nahmen sich seiner an. In nur vier Tagen wurde aus dem kleinen Mädchen eine Frau, Changing Woman . Sich Wechselnde Frau schenkte zwei Söhnen das Leben, den Krieger-Zwillingen. Danach schuf sie aus Fetzen ihrer Haut die Menschen, um nicht länger einsam zu sein.
    Die Menschen erhielten von den Wissenden Leuten jene Kenntnisse, die man zum Überleben braucht, und erfuhren, wie man nach hózhó , dem Zustand allumfassender Harmonie, strebt.
    Erster Mann baute ein achteckiges Haus aus Steinen, Lehm und Balken - einen Hogan. Danach ruhte er sich auf der Erde aus, lag Kopf an Kopf mit Erster Frau und ihre Gedanken vermischten sich. Aus ihrer beider Ideen entstand die Ordnung der Welt, so wie sie heute noch existiert.
    Der Unheilstifter aber, Kojote, leise und mit silbergrauem Fell, durfte zur Strafe für sein zerstörerisches Wesen an dieser Ordnung nicht teilhaben. Deshalb wurde er zornig und manchmal ist er es noch heute. Er heißt auch: Erster Zorn.
    Mit dürren Beinen und hängendem Kopf streift er durch die weiten Schluchten der Canyons und über die Ebenen der Mesas. In den kühlen Nächten lässt er die Menschen sein schauriges Heulen hören. Wenn er ein gefügiges Opfer gefunden hat, dessen Zustand der Harmonie gestört ist, dann schleicht er zwischen den zusammengedrängten Lehmhütten umher, umkreist ein Ranchhaus oder drückt seinen mageren Körper unter einen abgestellten Wohnwagen.
    Er ist auf der Jagd.
    Und noch immer kann er seine Gestalt wechseln. Für jede hat er einen anderen Namen: Graubein Kojote. Erster Zorn. Zweiherz.

1. Kapitel

    B leib nicht so lange, Kaye!« Arthur Kingleys dunkle Stimme kam unter dem aufgebockten Ford Pickup hervor, einem zerschrammten Lieferwagen, der auch schon bessere Tage gesehen hatte.
    »Ja, Dad«, rief das Mädchen in den ausgewaschenen Jeans. »Ich bringe Großvater Sam nur sein Essen.« Mit Schwung warf sie ihren schweren geflochtenen Zopf über die Schulter. Kaye stellte den Korb mit den beiden Emailletöpfen vorsichtig auf den Beifahrersitz und stieg hinter das Lenkrad ihres roten Geländewagens. Jazz - ein zotteliger Mischlingshund mit hellbraunem Fell - hockte schon auf der Rückbank des Jeep Wrangler und blickte sie aus seinen runden Hundeaugen erwartungsvoll an. Sein Fell war staubig und steckte voller trockener Halme und Samenkörner. Weiß der

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