Der Untertan
Leutnant aus dem ersten Akt, der arme Vetter, der die heimliche Gräfin hätte heiraten sollen, er war Magdas Verlobter! Man fühlte die Zuschauer vor Spannung beben.
Die Dichterin bemerkte es selbst. »Die Erfindung ist aber auch meine starke Seite«, sagte sie zu Diederich, der tatsächlich verblüfft war. Doktor Scheffelweis hatte keine Zeit, sich den Emotionen der dramatischen Dichtung zu überlassen; er sah sich gefährdet.
»Niemand«, beteuerte er, »würde freudiger einen Geist —« Wulckow unterbrach ihn.
»Kennen wir, Bürgermeisterchen. Freudig begrüßen können Sie, wenn's nichts kostet.«
Diederich setzte hinzu: »Aber einen glatten Strich ziehen zwischen Kaisertreuen und Umsturz!«
Der Bürgermeister hob flehend die Arme. »Meine Herren! Verkennen Sie mich nicht, ich bin zu allem bereit. Aber mit dem Strich ist nicht geholfen, denn bei uns hier bedeutet er bloß, daß fast alle, die nicht freisinnig wählen, sozialdemokratisch wählen.«
Wulckow stieß ein wütendes Grunzen aus, worauf er sich eine Wurst vom Büffet langte. Diederich war es, der eiserne Zuversicht bekundete.
»Wenn die guten Wahlen nicht von selbst kommen, müssen sie eben gemacht werden!«
»Aber womit?« sagte Wulckow.
Die Wulckowsche Nichte ihrerseits rief ins Publikum: »Er muß doch sehen, daß ich eine Gräfin bin, er, der demselben edlen Stamme entsprossen ist!«
»Oh! Frau Gräfin!« sagte Diederich. »Jetzt bin ich wirklich neugierig, ob er es sieht.«
»Selbstverständlich«, erwiderte die Dichterin. »Sie erkennen einander doch schon an den besseren Manieren.«
In der Tat warfen der Leutnant und die Nichte sich Blicke zu, weil Emmi und Magda samt Frau Heßling einen Käse mit dem Messer aßen. Diederich behielt den Mund offen. Im Publikum bewirkte das ungebildete Betragen der Fabrikantenfamilie die freudigste Stimmung. Die Töchter Buck, Frau Cohn und Guste Daimchen, alle jubelten. Auch Wulckow ward aufmerksam; er sog sich das Fett von den Fingern und sagte: »Frieda, du bist fein raus, sie lachen.«
Wirklich blühte die Dichterin erstaunlich auf. Ihre Augen hinter dem Zwicker glänzten wirr, sie seufzte, ihr Busen wallte, es hielt sie nicht länger auf ihrem Stuhl. Sie wagte sich halb heraus aus dem Büffetzimmer; sofort wandten viele sich nach ihr um, mit neugierigen Gesichtern, und die Schwiegermutter des Bürgermeisters gab ihr Zeichen. Frau von Wulckow rief fieberhaft über die Schulter: »Meine Herren, die Schlacht ist gewonnen!«
»Wenn es bei uns auch so schnell ginge«, sagte ihr Gatte. »Na also, Doktor, wie wollen Sie den Netzigern die Kandare anlegen?«
»Herr Präsident!« Diederich drückte die Hand aufs Herz. »Netzig wird kaisertreu, dafür bürge ich Ihnen mit allem, was ich bin und habe!«
»Schön«, sagte Wulckow.
»Denn«, fuhr Diederich fort, »wir haben einen Agitator, den ich als erstklassig bezeichnen möchte: jawohl, erstklassig«, wiederholte er und umfaßte mit dem Wort alles Große; »und das ist Seine Majestät selbst!«
Doktor Scheffelweis sammelte sich eilig. »Die persönlichste Persönlichkeit«, brachte er hervor. »Originell. Impulsiv.«
»Na ja«, sagte Wulckow. Er stemmte die Fäuste auf die Knie und glotzte dazwischen auf den Boden, in der Haltung eines sorgenvollen Menschenfressers. Auf einmal merkten die beiden anderen, daß er sie von unten schief ansah.
»Meine Herren« — er stockte wieder —, »na, ich will Ihnen mal was sagen. Ich glaube, der Reichstag wird aufgelöst.«
Diederich und Doktor Scheffelweis streckten die Köpfe vor, sie wisperten: »Herr Präsident wissen?«
»Der Kriegsminister war neulich mit mir auf der Jagd, bei meinem Vetter, Herrn von Quitzin.«
Diederich machte einen Kratzfuß. Er stammelte, er wußte selbst nicht, was. Er hatte es vorausgesagt! Schon bei seiner Aufnahme in den Kriegerverein hatte er eine Rede Seiner Majestät wiedergegeben — und hatte er sie nur wiedergegeben? Darin kam ausdrücklich vor: »Ich räume die ganze Bude aus!« Und nun sollte es geschehen, ganz so, als handelte er selbst. Es überlief ihn mystisch... Wulckow sagte inzwischen: »Die Herren Eugen Richter und Konsorten passen uns nicht mehr. Wenn sie die Militärvorlage nicht schlucken, ist Schluß« — und Wulckow strich sich mit der Faust über den Mund, als beginne das Fressen.
Diederich faßte sich. »Das ist — das ist großzügig! Das ist ganz sicher die persönliche Initiative Seiner Majestät!« Doktor Scheffelweis war erbleicht. »Dann sind
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