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Der Untertan

Der Untertan

Titel: Der Untertan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Mann
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dürfte das nicht sehen‹, dachte Diederich, aber auch im eigenen Namen fühlte er sich gekränkt. Er äußerte: »Finden Frau Gräfin nicht doch, daß der Klavierlehrer zu naturalistisch spielt?«
    Die Dichterin erwiderte befremdet: »Ganz so lag es in meiner Intention.«
    »Ich meinte auch nur«, sagte Diederich unsicher — und dann erschrak er, denn in der Tür erschien Frau Heßling oder eine Dame, die ihr ähnlich sah. Emmi kam auch, und das Paar war ertappt, man schrie und weinte. Um so lauter sprach Wulckow: »Nee, Bürgermeister. Auf den alten Buck können Sie sich diesmal nicht rausreden. Wenn er damals den städtischen Arbeitsnachweis durchgedrückt hat: die Anwendung tut es, die ist Ihre Sache.«
    Doktor Scheffelweis wollte etwas vorbringen, aber Magda schrie, sie denke nicht daran, den Menschen zu heiraten, dafür sei das Dienstmädchen gut genug. Die Dichterin bemerkte: »Das muß sie noch ordinärer bringen. Es sind doch Parvenüs.«
    Und Diederich lächelte zustimmend, obwohl er arg betreten war durch diese Zustände in einem Heim, das dem seinen glich. Immerhin gab er Emmi recht, die erklärte, der Skandal müsse sogleich aus der Welt geschafft werden, und die das Dienstmädchen hereinrief. Aber wie das Mädchen sich zeigte, verdammt, da war es die heimliche Gräfin! In die Stille, die ihr Auftreten bewirkte, tönte Wulckows Baßstimme: »Bleiben Sie mir mal weg mit dem Schwindel von Ihren sozialen Pflichten. Die Landwirtschaft ruinieren soll sozial sein?«
    Im Publikum wandten mehrere sich um; die Dichterin wisperte angstvoll: »Ottochen, um Gottes willen!«
    »Was ist denn los?« Er trat in die Tür. »Nun sollen sie mal zischen!«
    Niemand zischte. Er wandte sich wieder dem Bürgermeister zu: »Mit Ihrem Arbeitsnachweis ziehen Sie unsereinem, der im Osten begütert ist, die Arbeiter fort, das ist mal sicher. Und ferner: Sie haben sogar Vertreter der Arbeiter in Ihrem miserablen Arbeitsnachweis — und dabei vermitteln Sie auch für die Landwirtschaft. Wohin steuern Sie also? Nach der Koalition der Landarbeiter. Sehen Sie wohl, Bürgermeisterchen?« Seine Tatze fiel auf Doktor Scheffelweis' nachgiebige Schulter. »Wir kommen Ihnen hinter die Schliche. Wird nicht geduldet!«
    Auf der Bühne sprach die Wulckowsche Nichte ins Publikum, denn die Fabrikantenfamilie durfte nichts hören: »Wie? Ich, ein Grafenkind, einen Klavierlehrer heiraten? Das sei ferne von mir. Wenn die Leute mir auch eine Ausstattung versprechen, für Geld mögen andere sich erniedrigen. Ich aber weiß, was ich meiner edlen Geburt schuldig bin!«
    Hier ward applaudiert. Frau Harnisch und Frau Tietz sah man Tränen fortwischen, die der Edelsinn der Gräfin ihnen hatte entquellen lassen. Aber die fortgewischten Tränen kamen wieder, als die Nichte sagte: »Doch ach! Wo finde ich als Dienstmädchen einen ebenso Hochgeborenen.«
    Der Bürgermeister mußte eine Erwiderung gewagt haben, denn Wulckow grollte: »Dafür, daß es weniger Arbeitslose gibt, will ich nicht bluten. Mein Geld ist mein Geld.« Da konnte Diederich sich nicht länger enthalten, ihm mit einem Kratzfuß zu danken. Aber auch die Dichterin bezog mit Recht seinen Kratzfuß auf sich.
    »Ich weiß«, sagte sie, selbst gerührt, »die Stelle ist mir gelungen.«
    »Das ist Kunst, die zum Herzen spricht«, stellte Diederich fest. Da Magda und Emmi das Klavier und die Türen zuschlugen, ergänzte er: »Und hochdramatisch.« Hierauf nach der andern Seite: »Nächste Woche werden zwei Stadtverordnete gewählt, für Lauer und Buck junior. Gut, daß der von selbst geht.« Wulckow sagte: »Dann sorgen Sie nur dafür, daß anständige Leute reinkommen. Sie sollen ja mit der ›Netziger Zeitung‹ gut stehen.«
    Diederich dämpfte vertraulich die Stimme. »Ich halte mich vorläufig noch zurück, Herr Präsident. Für die nationale Sache ist es besser.«
    »Sieh mal an«, sagte Wulckow; und wirklich sah er Diederich durchdringend an. »Sie möchten sich wohl selbst wählen lassen?« fragte er.
    »Ich würde das Opfer bringen. Unsere städtischen Körperschaften haben zuwenig Mitglieder, die in nationaler Beziehung zuverlässig sind.«
    »Und was wollen Sie machen, wenn Sie drin sind?«
    »Dafür sorgen, daß der Arbeitsnachweis aufhört.«
    »Na ja«, sagte Wulckow, »als nationaler Mann.«
    »Ich als Offizier«, sagte auf der Bühne der Leutnant, »kann nicht dulden, liebe Magda, daß dieses Mädchen, wenn es auch nur eine arme Dienstmagd ist, irgendwie mißhandelt wird.«
    Der

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